loading
Wir nutzen Cookies zur Verbesserung unseres Webauftritts. Informationen zu Ihrer Nutzung werden daher an Google übermittelt.
Details ansehen.OK
Wer sind wir und wer wollen wir sein? – Ein Blick (aus der Ferne) auf die Tiermedizin

Von Sarah Heynen

Die Meisten unter uns Tiermedizinstudierenden und Veterinärmediziner:innen werden Fragen und Aussagen wie diese wohl kennen:

„Wie, du behandelst keine Hunde und Katzen? Was machst du dann?“

„Tierärzt:innen verdienen sich alle dumm und dämlich.“

„Du hast doch Semesterferien, warum bist du denn nicht drei Monate im Urlaub?“

„Den ganzen Tag Tiere streicheln und das schon im Studium – ein Traum!“

Zugegeben: Das mögen Extrembeispiele der sehr uninformierten Sorte sein. Natürlich begegnen uns auch viele Menschen mit unvoreingenommenem und echtem Interesse. Und wenn wir ehrlich sind, dann erleben wir solche vorurteilsbehafteten Aussagen auch nicht nur von Außenstehenden. Wir selbst sind nicht selten uninformiert über die Bandbreite an Möglichkeiten unseres Berufs und Studiengangs. Behauptungen von Tiermedizinstudierenden selbst, wie „Menschen die später nicht praktizieren wollen, nehmen den echten Tiermediziner:innen die Studienplätze weg“ sind Mitgliedern unseres erweiterten Vorstandes bereits vorgetragen worden.

 

Warum werden wir mitunter so gesehen, warum sehen wir uns selbst mitunter so? Wie ändern wir unser Image und wie wollen wir überhaupt gesehen werden?

Diesen Fragen soll der folgende Beitrag nachgehen, erhebt jedoch keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

 

Und wo ist das Problem?

Die Frage nach der Relevanz dieser Fragen steht im Raum. Warum eignet man sich nicht einfach ein dickes Fell an und lässt Plattitüden wie die obigen Plattitüden sein? Es ist doch egal, was andere über uns denken, oder? Es ist doch egal, was wir selbst über uns denken… oder?
Laut Dissertation von Tierärztin Heike Hesse ergibt sich für unseren Berufsstand unter anderem folgendes Problem: „Diskrepanzen zwischen Berufsrealität und Vorstellungen der Studienanfänger können zur Folge haben, dass nicht jeder Absolvent das angestrebte Tätigkeitsfeld findet, wodurch Unzufriedenheit und weitere Folgen (auch ein vorzeitiges Ausscheiden aus dem Beruf) ausgelöst werden können.“[1] Der präexistente, mitunter realitätsferne Eindruck der Veterinärmedizin in der Gesellschaft könnte also indirekt mit dem bestehenden und fortschreitenden Mangel an Tierärzt:innen zusammenhängen – und hier wird von Menschen gesprochen, die sich durch ihre Studienwahl womöglich ausgiebiger mit der Veterinärmedizin beschäftigt haben, als der deutsche Bevölkerungsdurchschnitt.

Nicht nur die Anzahl der Tiermediziner:innen, sondern auch ihre und unsere (psychische) Gesundheit leidet unter dem Image, dass wir mitunter in der Gesellschaft haben. Tonia Olson, Tierärztin und Autorin für den Tierärzteverlag erklärt „Durch ein Zusammenspiel verschiedener Faktoren, u. a. […] Missverständnisse und irrationale Vorstellungen, kann es zu Konflikten kommen, die so weit führen können, dass Patientenbesitzer mit ihrem Tierarzt abrechnen wollen. […] Dass dies sogar zum Selbstmord führen kann, zeigt der traurige Fall der amerikanischen Tierärztin Shirley Koshi, die aufgrund einer extremen Hetzkampagne auf ihrer Praxis-­Homepage und in sozialen Medien ihre Praxis schließen musste und sich daraufhin 2014 das Leben nahm.“[2] Ein trauriges Beispiel aus Amerika, das in Deutschland jedoch nicht zuletzt durch die kürzlich erschienene Studie „Depression, suicidal ideation and suicide risk in German veterinarians compared with the general German population” von Schwerdtfeger et al als alarmierend wahrscheinlich im Vergleich zur Gesamtbevölerung herausgestellt wurde: 19,2 % der Veterinärmediziner:innen gaben dabei an, Suizidgedanken zu haben, im Vergleich zu 5,7 % der Gesamtbevölkerung, die diese Angaben machten.[3]
Eine verschobene Wahrnehmung unseres Berufsstandes – bei uns selbst und in der Gesellschaft – kann demnach schwerwiegende Folgen für uns und damit letztlich auch für die resultierende Qualität unserer Arbeit haben.

 

Aus Sicht der Gesellschaft

Wer sind wir für unsere fachfremden Mitmenschen? Laut Marcus Doherr, Professor am Institut für Veterinärepidemiologie und Biometrie an der FU Berlin belastet die Tierärzt:innenschaft die „[…] Diskrepanz zwischen der Wahrnehmung des Berufsbildes als “heilender Tierarzt” mit hohem Ansehen und der davon differierenden Wirklichkeit“[4] So habe das Bild der Tiermediziner:innen in der Öffentlichkeit seiner Ansicht nach vor allem auch durch Antibiotikaskandale in der Nutztierbranche Schaden genommen. Für einen Teil der Bevölkerung gehen wir also mutmaßlich fahrlässig mit unseren Aufgaben um. Auch Kampagnen, wie die des Berufsverbandes der Chirurgen aus dem Jahr 2014 zur Bekämpfung der Quellen von Antibiotikaresistenzen mit wenig eingeordneten Zahlen aus der Tiermedizin tragen womöglich zum Image der „achtlosen Tiermediziner:innen“ bei.[5]
Katrin Schwerdtfeger spricht hingegen den Blick auf die Kleintiermedizin an, in welcher „nicht selten […] erwartet [würde], dass Leistungen aus Tierliebe heraus durchgeführt oder vergünstigt angeboten würden.“[6]  Tiermediziner:innen, die diesem Rollenbild nicht entsprechen geraten vermehrt in die Kritik: Tierärztin Katharina Meyer erzählt in ihrem Beitrag bei Vetstage beispielsweise von einem ARD-Beitrag mit dem Titel „Haustiere als Patienten: Wie Tierärzte Kasse machen“, in welchem Tiermediziner:innen als „Abzocker“ präsentiert würden.[7]
Im Gegensatz dazu stehen Recherchen von Journalist Jörg Held, wonach Veterinär:innen in den Medien „[…] sogar ganz überwiegend positiv besetzt [sind]: Sie sind „Retter“ und „Helfer“ etwa bei Vergiftungen und Unfällen. Sie sind „Experte“ und „Berater“ zum Beispiel für Tiergesundheit und Verbraucherschutz. Sie sind Vorbild oder auch einfach nur „interessant“ bei Zooreportagen oder Berufsportraits.“[8] Eine Bandbreite an positiven Konnotationen, die vermutlich ein freundliches Grundimage generieren, jedoch mutmaßlich ebenso wenig die Komplexität des Berufes abbilden können und eher in die von Katrin Schwerdtfeger beschriebene Problematik zu schwierigen Erwartungshaltungen führen könnten.

Und damit verlassen wir den Bereich der in der Gesellschaft geläufigen Aufgabenbereiche von Tiermediziner:innen. Neben kurativen Aufgaben und Bestandsbetreuung verbleiben andere Branchen der Tiermedizin meist im Hintergrund. So informiert die Bildungssendung „Planet Wissen“ als Co-Produktion von WDR, SWR und ARD-alpha in ihrem Homepage-Beitrag zwar grundsätzlich über weitere Sparten in der Tiermedizin – legen aber ihren Fokus eindeutig auf die Beschreibung der Tätigkeiten in der kurativen Praxis.[9] Unter der Annahme, dass diese Darstellung auch in anderen Bildungsportalen Anwendung findet, ließe sich schlussfolgern, dass eine heterogene Abbildung der tiermedizinischen Tätigkeiten wenig einprägsam für Interessierte erfolgt.

 

Aus unserer Sicht

Für einen Imagewechsel müssen wir uns aber auch an die eigene Nase fassen und Probleme in unseren Reihen sehen: Die Gegenseitige Wertschätzung und Wohlgesonnenheit unter uns Tiermediziner:innen ist dabei ein Ansatzpunkt, der für eine breitere Anerkennung der tiermedizinischen Tätigkeiten sorgen könnte. So beschreibt Heike Hesse: „Die im Beruf stehenden Tierärztinnen und Tierärzte beurteilten die gegenseitige Unterstützung in der Kollegenschaft unterschiedlich: Während die Hälfte diese als sehr gut oder gut beurteilten, waren 22 % der Meinung, dass die Kollegialität in der Tiermedizin lediglich ausreichend oder mangelhaft sei. Ein Viertel aller Tierärzte sah die Kollegialität unter Tierärzten als befriedigend an.“[10]

Doch auch wir Studierende müssen unseren Horizont fortlaufend erweitern. Heike Hesse bilanziert, „[…] dass die Arbeit als praktizierender Tierarzt in dem letzten Jahrzehnt zur Wunschvorstellung fast aller Studienanfänger geworden ist, wohingegen nur rund Zweidrittel der im Beruf stehenden Tierärzte in diesem Bereich tätig sind.“[11] Eine Diskrepanz die auf fehlende Informationen über nicht-kurative Bereiche der Tiermedizin zurückzuführen sein könnte. Die Unis bemühen sich – Veranstaltungen wie die Vorlesungsreihe „Berufsfelderkundungen“ waren zumindest nach persönlichen Erfahrungen unserer Redaktion jedoch meist eher spärlich besucht. So verpassen Studierende mutmaßlich eine Chance, sich mit unserem breitgesteckten Berufsfeld zu befassen und Informationen in ihr Umfeld heraustragen zu können. Das anstrengende Studium mit seinen intensiven Lernphasen und Belastungen können dabei als mögliche Gründe für die wenig intensive Auseinandersetzung mit allem „Nicht-Klausurrelevanten“ selbstverständlich nicht außer Acht gelassen werden. Dennoch beginnt eine aufgeklärte Haltung zu unserem Berufsstand unserer Ansicht nach bei uns.

 

Der Weg zu einem neuen Image?

Jörg Held spricht sich gegen ein pauschales Geraderücken der tierärztlichen Darstellung und vielmehr für das Ergreifen der Chance des „medialen Vetrauensvorschusses“ aus: „Denn egal, wie fachlich unscharf manche Darstellung auch sein mag: Sie transportieren als Markenbotschafter und Sympathieträger nahezu perfekt die sogenannte „intrinsische Motivation“, mit der die allermeisten Tierärzte ihren Beruf gewählt haben […]“.[12] So könnten jedoch auch alle, die (medienwirksam) tiermedizinisch tätig sind dazu beitragen, dass unser Bild in der Gesellschaft nicht nur vermehrt positiv besetzt bleibt, sondern auch beispielsweise Aspekte wie die Tiermedizin als wirtschaftlicher Beruf, von dem man Leben können muss, dieses Bild ergänzen.
Der gemeinsame Auftritt der Tiermedziner:innen- und Studierendenschaft kann außerdem die Wirkungskraft unserer Anstrengungen stärken: Stellungnahmen zu heiklen Themen der Veterinärmedizin sind dabei ein weiterer möglicher Schritt hinsichtlich eines realistischeren Bildes in der Öffentlichkeit. Ein Beispiel dazu bieten die regelmäßigen Stellungnahmen der BTK zu verschiedenen Themen wie Arznei- und Futtermittelrecht, Versuchstierkunde und Tierschutz.[13] Auch der öffentlichkeitswirksame politische und aufklärende Einsatz der Berufs- und Studierendenverbände, wie zuletzt durch die erfolgreiche Unterschriftenaktion des BpT zum drohenden Antibiotika-Verbot in der EU, sind Beispiele für die Tragweite unserer Stimme als Veterinärmedizin, aber vor allem auch für den Erfolg, wenn Tiermediziner:innen und Nicht-Tiermediziner:innen an einem Strang ziehen.[14]

 

Unser Fazit

Das Image der Tiermedizin ist nicht nur in der fachfremden Bevölkerung Deutschlands mitunter wenig differenziert, sondern auch durch uns geprägt. Falschaussagen und Hetzkampagnen können für unsere Kolleg:innen verheerende Folgen haben. Eine „Schuld“ für einen möglichen allgemeinen Imageschaden darf aber nicht nur nach außen abgewälzt werden. Wir alle, von Studienanfänger:innen bis berufstätigen Tiermediziner:innen, haben nicht in der Hand was andere über uns und unseren Berufsstand aussagen. Aber wir können beeinflussen, auf welcher Informationsgrundlage sich diese Aussagen fachfremder Menschen begründen und somit (in)direkt zu einem realistischerem Bild der Tiermedizin beitragen. Wir sollten es als unsere Pflicht wahrnehmen, offen für die Facetten unseres Berufsstandes zu bleiben und diese Vielfältigkeit nach Möglichkeit auch an unsere Mitmenschen vermitteln. Nicht zuletzt unsere gegenseitige Unterstützung und Wertschätzung sind unserer Ansicht nach Kernelemente, die eine Anerkennung unserer Leistungen in der Gesellschaft fördern können und sollten. Um es mit den Worten Jörg Helds zu sagen: Jede:r von uns „[…] kann und muss – gerade in Zeiten von Social Media – dafür gerade stehen.“[15]

 

 

 

 

[1] Hesse, H. (2013). Wahrnehmung der Veterinärmedizin: Vorstellung von Studienanfängern der Tiermedizin im Vergleich zur inneren Wahrnehmung von Berufsträgern. https://refubium.fu-berlin.de/bitstream/handle/fub188/1549/Hesse_online.pdf?sequence=1&isAllowed=y

[2] Olson, T. (2017). Cybermobbing – Wenn das Internet das Leben zur Hölle macht. https://www.tieraerzteverlag.at/vetjournal/201709/cybermobbing

[3] Schwerdtfeger, K.A. et al. (2020). Depression, suicidal ideation and suicide risk in German veterinarians compared with the general German population. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/32229508/

[4] Bund angestellter Tierärzte e.V. (2021). Erhöhtes Suizidrisiko auch in der deutschen Tierärzteschaft. https://bundangestelltertieraerzte.de/erhoehtes-suizidrisiko-in-der-deutschen-tieraerzteschaft/

[5] Held, J. und Hoffman, H. (2015). Humanmediziner vergleichen Kinder und Hundebehandlung. https://www.wir-sind-tierarzt.de/2015/11/posteraktion_frakturbehandlung_kind_hund/

[6] Bund angestellter Tierärzte e.V. (2021). Erhöhtes Suizidrisiko auch in der deutschen Tierärzteschaft. https://bundangestelltertieraerzte.de/erhoehtes-suizidrisiko-in-der-deutschen-tieraerzteschaft/

[7] Meyer, K. (2017). Die Stellung des Tierarztes in unserer Gesellschaft – vom „Abzocker“ zum „Allwissenden“? https://www.vetstage.de/magazin/die-stellung-des-tierarztes-in-unserer-gesellschaft-vom-abzocker-zum-allwissenden/

[8] Held, J. (2019). Achtung Abzocker: Wer prägt das Bild „der“ Tierärzte in „den“ Medien? https://www.tieraerztekongress.de/blog-vetleben/Achtung-Abzocker.html

[9] Wiegand, B. und Potjans, M. (ohne Datum). Tiermedizin. https://www.planet-wissen.de/natur/tier_und_mensch/tiermedizin/index.html

[10] Hesse, H. (2013). Wahrnehmung der Veterinärmedizin: Vorstellung von Studienanfängern der Tiermedizin im Vergleich zur inneren Wahrnehmung von Berufsträgern. https://refubium.fu-berlin.de/bitstream/handle/fub188/1549/Hesse_online.pdf?sequence=1&isAllowed=y

[11] Hesse, H. (2013). Wahrnehmung der Veterinärmedizin: Vorstellung von Studienanfängern der Tiermedizin im Vergleich zur inneren Wahrnehmung von Berufsträgern. https://refubium.fu-berlin.de/bitstream/handle/fub188/1549/Hesse_online.pdf?sequence=1&isAllowed=y

[12] Held, J. (2019). Achtung Abzocker: Wer prägt das Bild „der“ Tierärzte in „den“ Medien? https://www.tieraerztekongress.de/blog-vetleben/Achtung-Abzocker.html

[13] Bundestierärztekammer e.V. (ohne Datum). Stellungnahmen der BTK. https://www.bundestieraerztekammer.de/tieraerzte/stellungnahmen/

[14] Bundesverband praktizierender Tierärzte e.V. (2021). Unterschriftenkampagne gegen weitreichendes EU-Antibitotikaverbot! https://www.tieraerzteverband.de/bpt/aktuelles/meldungen/2021_08_09_kampagne-therapienotstand.php

[15] Held, J. (2019). Achtung Abzocker: Wer prägt das Bild „der“ Tierärzte in „den“ Medien? https://www.tieraerztekongress.de/blog-vetleben/Achtung-Abzocker.html