loading
Wir nutzen Cookies zur Verbesserung unseres Webauftritts. Informationen zu Ihrer Nutzung werden daher an Google übermittelt.
Details ansehen.OK
„Tierschutz und Klimaschutz – gegen- oder miteinander?“

„Tierschutz und Klimaschutz – gegen- oder miteinander?“, so lautete das diesjährige Thema des Tierschutzseminars der AG Tierschutz des bvvd. Am 12. und 13.06.2021 fanden sich insgesamt ca. 100 Teilnehmende vor dem Laptop ein, um vielen verschiedenen RednerInnen zu lauschen. Das Seminar bot nicht nur abwechslungsreiche Vorträge, sondern auch mehrere Workshops rund um die Themen Tierschutz, Artenschutz und Klimaschutz.

 

Nach einer kurzen Vorstellung und ein paar Erklärungen zum Ablauf der Veranstaltung, eröffnete Mikrobiologe Theodor Sperlea das Seminar mit dem Vortrag: „Willkommen im Anthropozän – Eine Einführung in ein neues Zeitalter“. Er gab den Teilnehmenden einen Überblick welche Zeitalter es bisher gab und wann das Anthropozän begann. Diese Frage ist wohl gar nicht so leicht zu beantworten, nach aktuellem Stand begann es aber 1950 kurz nach dem 2. Weltkrieg. Des Weiteren wurde sich darüber ausgetauscht, ob es der Erde besser gehen würde ohne uns Menschen. Herr Sperlea schlussfolgerte, dass es unethisch und empirisch falsch wäre, zwischen der Menge der Menschen auf der Welt und der fortschreitenden Klimaveränderung zu vergleichen.

 

Den zweiten Vortrag an diesem Samstag hielt Biologin Birgit Braun von der Aktionsgemeinschaft Artenschutz e.V. (AGA e.V.) über die Zusammenhänge der Klimaerwärmung und der Lebensraumveränderung von Meeresschildkröten. Meeresschildkröten verbringen ihr ganzes Leben im Meer und sind nur zur Eiablage am Strand. Dadurch, dass die Ausbildung des Geschlechts nach der Eiablage temperaturabhängig ist, hat die Klimaerwärmung einen fatalen Einfluss auf das Geschlechterverhältnis. Ist die Umgebung der Eier warm, dann schlüpfen Weibchen, ist sie kalt, dann entwickeln sich Männchen. Bleibt es also dauerhaft zu warm, dann gibt es in Zukunft ein großes Problem bei der Reproduktion, da die Männchen fehlen. Doch nicht nur das Geschlechterverhältnis ist von der Erwärmung betroffen, sondern auch die Nistplätze sind durch den steigenden Meeresspiegel bedroht. Um hier Abhilfe zu schaffen,  führt der Verein ein Nestmonitoring durch, um die Eier und die Weibchen zu schützen.

Noch einige weitere Problematiken gefährden die Schildkröten, unter anderem extreme Wetterereignisse oder der Verlust von wichtigen Nahrungsquellen.

Frau Braun gab den Teilnehmenden außerdem hilfreiche Tipps, wie man im eigenen Urlaub auf den Lebensraum von Meeresschildkröten Rücksicht nehmen kann. Beispielsweise gibt es die Möglichkeit sich vorab zu erkundigen, ob es am Urlaubsziel Meeresschildkröten gibt und wann deren Nistsaison ist. Außerdem sollte man darauf verzichten Sonnenschirme in den Sand zu stecken, da dadurch im Sand liegende Eier beschädigt und somit das ganze Nest zerstört werden kann. Schon viele Hotels nehmen Dank der AGA e.V. Rücksicht auf die Tiere, indem sie über Nacht die Sonnenliegen vom Strand entfernen. Ebenfalls sollte man sich nie schwimmenden Schildkröten nähern, da sie aus Angst abtauchen und aufgrund von Sauerstoffmangel ertrinken könnten.

 

Nach einer kurzen Pause schloss sich der spannende Vortrag „Antibiotikaresistenzen – das nächste große Thema“ von Frau Reinhild Benning von der Deutschen Umwelthilfe e.V. an.

Obwohl die Antibiotikavergabe in Deutschland sinkt, stagniert der Anteil der Reserveantibiotika bei 20% des Gesamtverbrauchs. Sie erklärte die Wichtigkeit von Antibiogrammen und Antibiotikadatendanken, um die Therapieeinsätze besser erfassen und nachvollziehen zu können, denn jeder Einsatz von Antibiotika kann resistente Keime nach sich ziehen. Erschreckend stellte sie klar, dass ca. 70-95% der Antibiotika ausgeschieden werden und somit über den Boden ins Grundwasser gelangen können. Sogar Personen, die nicht mit Tiere in Kontakt kommen, können in tierdichten Regionen Träger von Methicillin-resistenten Staphylococcus aureus (MRSA) sein.

Frau Benning berichtete außerdem über die Unterschiede der konventionellen Tierhaltung und den Öko-Betrieben. Die konventionelle Tierhaltung stellt hier ein großes Problem dar, da die Größe des Betriebs mit der Häufigkeit von Therapieeinsätzen korreliert. In Öko-Betrieben sind MRSA-Keime nicht ausgeschlossen, aber dennoch weitaus weniger, da hier eine geringere Besatzdichte und Leistungserwartung im Vordergrund stehen.

Frau Benning wünschte sich als Ziel den Antibiotika-Verbrauch bis 2030 zu halbieren, indem eine lückenlose Erfassung der Antibiotika-Abgaben vorgenommen und Reserveantibiotika verboten werden. Das Tierwohl in den Ställen muss sich so signifikant verbessern, dass der flächendeckende Einsatz von Antibiotika nicht mehr von Nöten ist.

 

Um alles bisher Gehörte zu verarbeiten und sich für die kommenden Vorträge zu stärken, folgte eine 45 minütige Mittagspause.

 

Anschließend folgte Dr. Sascha Knauf, Fachtierarzt für Wildtiere, mit dem Thema: „One Health in a Changing World: The Climate Crisis“.

Er erklärte, dass alles auf der Welt sich gegenseitig beeinflusse und derzeit viele Herausforderungen existieren, wie z. B. die wachsende Weltbevölkerung, die Pandemie und die globale Erwärmung. Anhand zahlreicher Beispiele berichtete er den Teilnehmenden über die Auswirkungen der Klimaerwärmung. Fesselnd schilderte Herr Dr. Knauf die Situation der Heringsbestände in der Ostsee. Die kürzeren Winter und die schnellere Frühjahrserwärmung erhöhen die Eier- und Larvensterblichkeit, welches, aufgrund von mangelndem Algenverzehr, ein erhöhtes Algenwachstum nach sich zieht. Gibt es weniger Heringe, dann fehlt es z. B. dem Kabeljau und der Kegelrobbe an Futter. 

Doch nicht nur unter Wasser, sondern auch in der Luft sind die Veränderungen spürbar.

Zugvögel passen sich den klimatischen Bedingungen an und weichen bezüglich des Brutbeginns, der Zugzeiten und Flugrouten ab. Dadurch haben verschiedenste Viren ein leichtes Spiel.

Am Ende seines Vortrags gab er noch hilfreiche Tipps, die Verbreitung von Zoonosen zu verhindern. Unter anderem war ihm sehr wichtig, dass man bevorzugt regionale Lebensmittel kauft und weitestgehend auf Plastik verzichtet.

 

Den Abschluss des ersten Tages des Tierschutzseminars machte der Naturschützer und Ornithologe Manfred Siering,

Er rollte das Thema zeitlich von Beginn an auf und gab uns spannende Einblicke in die Entwicklung der Vögel aus Dinosauriern. Zudem berichtete er über das Verschwinden und Hinzukommen von Vogelpopulationen, nicht nur in Deutschland, sondern weltweit. Aufgrund der Vielzahl von Vogelarten, möchte ich hier nur auf einzelne Beispiele eingehen.

Die Alpenregion in Bayern ist stark betroffen von den klimatischen Veränderungen, was beispielsweise negative Auswirkungen auf die Population des Alpenbirkenzeisig hat. Aber auch das Braunkehlchen ist vom Aussterben bedroht, ebenso sind die Gartengrasmücke und der Neuntöter aufgrund von Lebensraumveränderungen verschwunden. Durch den Einsatz von Glyphosat und anderen chemischen Mitteln steht der Wachtel kein ausreichendes Nahrungsangebot mehr zur Verfügung, wodurch leider auch deren Population schrumpft.

Besonders eindrücklich ist die Flugweise des Drosselrohrsängers in Erinnerung geblieben, der bei reichlichem Insektenangebot bis zum Tschadsee im Dauerflug fliegen kann. Aufgrund des mangelnden Insektenangebotes muss er nun aber viele Pausen einlegen, welche mit vielen Risiken verbunden sind. Er ist in Bayern als gefährdet eingestuft.

Doch es gibt nicht nur negative Nachrichten, sondern auch viele Neuzugänge erreichen Deutschland, wie z. B. der Bienenfresser aus dem Süden oder die Brillengrasmücke aus Süd-West-Europa. Auch die Mandarinente aus Ostasien hat sich derweil sehr gut in Deutschland eingelebt.

 

Der Sonntag startete nicht mit Vorträgen, sondern mit vier verschiedenen Workshops, in die sich die Teilnehmenden selbst zuteilen konnten.

Die Themen lauteten:

  • „Nutztierhaltung und Klimawandel“
  • „Artenschutz und Tierschutz im Konflikt?“
  • „Gesellschaftliche Aufklärung im Bereich Tierschutz – eine Aufgabe der Tiermedizinerschaft?“
  • „Tier-/Arten-/Klimaschutz – moralische Handlungspflicht für Tier Medizinerinnen?“

Das Diskutieren und der persönliche Austausch mit den Teilnehmenden hat uns sehr viel Freude bereitet und uns neue Denkanstöße gegeben. Die Ergebnisse der einzelnen Workshops wurden am Ende der Veranstaltung vorgestellt.

 

Nach den Workshops folgte der erste Vortrag „Windenergie und Tierschutz – ein Spannungsfeld“, gehalten von Dr. Markus Adrian. Der Vortrag lieferte uns interessante Einblicke in die Geschichte und Entwicklung der Windenergie, die positiven und negativen Auswirkungen auf die Tierwelt und die Genehmigungsverfahren von neuen Windkraftanlagen.

Die Hauptklagegründe gegen Windkrafträder beziehen sich vor allem auf den Artenschutz, hauptsächlich mit Blick auf die Vogel-und Fledermauspopulationen.

Vergleichend wurde festgestellt, dass laut dem Naturschutzbund (Nabu) pro Jahr 10.000-100.000 Vögel durch Rotorblätter sterben. Auch wenn dies nichts verharmlosen soll, sollte uns zudenken geben, dass jährlich 18 Millionen Vögel durch Glasscheiben getötet werden. Fledermäuse sterben nur selten durch Rotorschlag, häufiger kommt es zu Barotraumen bedingt durch Verwirbelungen und Druckabfall hinter den Rotorblättern. Dadurch platzen Lunge und innere Organe der Tiere. Um dies zu verhindern gilt eine Feldermausabschaltung heutzutage als Standard.

Weiterhin berichtete Herr Dr. Adrian über die Auswirkungen von Windkrafträdern auf verschiedene Tierarten.

Bei Wildtieren beispielsweise gibt es eine Meidewirkung während der Bauphase, aber keine grundsätzliche während der Betriebsphase. Stehen Windkrafträder in der Nähe der Brutplätze von Vögeln, dann können diese die Brut erheblich stören. Auf Rotmilanhorste wird z. B. ganzjährig Rücksicht genommen, auch wenn sie mehrere Jahre unbesetzt sind. Für Meerestiere, wie beispielsweise den Schweinswal, haben Windkrafträder besonders starke Auswirkungen. Sowohl bei der Bauphase (Fundamentrammung), als auch während der Betriebsphase, werden diese Tiere dadurch negativ beeinflusst. Keine speziellen Untersuchungen, sondern nur Modellrechnungen, gibt es bei Insekten.

 

Im §44 des Bundes-Naturschutzgesetzes steht sinngemäß, dass es verboten ist wildlebende Arten zu verletzen, zu töten oder erheblich zu stören. Leider relativiert Absatz 5 des Paragraphen dies wieder, da ein Verstoß nicht vorliegt, wenn das Tötungs- und Verletzungsrisiko für betroffene Arten nicht signifikant erhöht ist und dies, nach fachlich anerkannten Schutzmaßnahmen, nicht vermieden werden kann.  Hier stellt sich vor allem die Frage nach der Definition von „signifikant“, außerdem werden diese Regelungen in den Bundesländern unterschiedlich gehandhabt.

Am Ende berichtete Herr Dr. Adrian noch über das Avifaunistische Gutachten, welches vor jedem Bau angefertigt werden muss. Es umfasst beispielsweise Brutvögel in 500 m-Radium bzw. windkraftsensible Arten bis 1.000m, rastende und ziehende Gastvögel im 1.000 m-Radius im 14-tägigen Turnus, Horstkontrollen bekannter Horste, sowie die Horstsuche im Umfeld von Rotmilansichtungen.

Schlussfolgernd lässt sich sagen, dass der Ausbau der Windenergie wichtige Perspektiven für den Klima- und somit auch für den Arten- und Umweltschutz bietet. Dennoch müssen noch einige Konfliktfelder beseitigt werden.

 

„Vielfalt der Insektenfauna – und wie wir sie erhalten können!“, so lautete der letzte Vortrag des Seminars von Biologe Prof. Dr. Thomas Wagner.  Er berichtete von bisher 1,2 Millionen verschiedenen beschriebenen Arten, über die Insektenentwicklung und über deren Anpassung an das Leben im Substrat. Auch das große Thema Insektensterben sollte nicht fehlen. Sehr negativ hervorzuheben sind hier u. a. die Neonicotinoide (Insektizide), ein schleichendes Gift, das die Gehirnprozesse der Insekten stört und somit langfristig zum Tod führt.

Sehr viele Lösungswege wurden den Teilnehmenden aufgezeigt, um auch selbst aktiv Insektenpopulationen zu schützen. Hat man z. B. einen eigenen Garten, sollte man immer auf synthetische Biozide verzichten und bestenfalls seine Wiesen nicht mähen, um ein Pflanzen- und Blumenparadies entstehen zu lassen. Außerdem nannte Prof. Wagner verschiedene Baum- und Pflanzenarten mit besonders insektenfreundlichen Blüten wie die Wildkirsche, die Eberesche, die Sommer- und Winterlinde, die Felsenbirne oder den Natternkopf. Gebietsfremde Pflanzen sollten entfernt werden, darunter fallen die Koniferen, der Feuerdorn oder der Kirschlorbeer.

Doch nicht nur durch den eigenen Garten kann man den Tieren etwas Gutes tun, sondern auch mittels eigener Essgewohnheiten. Großen Wert sollte man diesbezüglich auf Lebensmittel aus dem eigenen Garten, und falls das nicht möglich, auf Bio-Produkte legen.

 

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass wir viel über den Tier- und Artenschutz in Bezug auf den Klimawandel lernen konnten. Das Seminar bot uns vielfältige Einblicke in unterschiedliche Themengebiete und informierte über eine große Bandbreite des Spektrums, dass durch die Erderwärmung Veränderungen mit sich bringt oder bringen wird.

 

Ein herzliches Dankschön an alle RednerInenn für dieses spannende und informative Wochenende. Ebenso auch an die zahlreichen TeilnehmerInnen, die viele tolle Fragen gestellt und fantastischen Input gegeben haben.

 

Lisa Sarodnick (Leiterin der AG Tierschutz)