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Blaualgen im Tegeler See: Gefahr?

https://www.bz-berlin.de/berlin/reinickendorf/todesraetsel-am-tegeler-see-gefaehrliches-nervengift-in-blaualgen

In Berlin haben wir sehr viele Gewässer, angefangen bei kleinen Tümpeln, über Kanäle bis hin zu großen Seen. Doch sollten wir mit unseren Hunden dort auch baden gehen? Was lauert dort, in der Tiefe des Sees, wohin kein Sonnenstrahl mehr hinabreicht? Was lebt dort, im Uferbereich, das sich trügerisch in der Sonne aalt? Was ist gefährlich und was ist eigentlich doch ganz harmlos? Lassen Sie sich von mir heute zum Tegeler See führen. Dort machen seit 2017 die Blaualgen Schlagzeilen, da anscheinend Hunde an diesen Blaualgen sterben können. Doch was sind Blaualgen und woran sterben unsere Hunde?

 1. Blaualgen – Pflanzen?

Blaualgen sind eigentlich keine Algen. Vielmehr handelt es sich dabei um Cyanobakterien. Nach dem aktuellen Stand der Forschung nehmen wir an, dass Cyanobakterien die ersten photosynthetisch aktiven Lebewesen unserer Erde waren. Ihre blaugrüne Farbe, der sie ihren Namen verdanken, begründet sich somit durch ihr Chlorophyll a. Durch Endosymbiose (-> Endosymbiontentheorie) und weitere Evolutionsprozesse haben sich aus ihnen unsere heutigen Pflanzen entwickelt. Cyanobakterien können einzeln oder in Kolonien auftreten und Symbiosen mit z. B. Wasserpflanzen eingehen. Sie vermehren sich besonders gut bei Temperaturen zwischen 15 und 30°C, einem pH-Wert zwischen 6 und 9 und in nährstoffreichem Milieu, wobei hohe Phosphor- und Stickstoffgehalte das Wachstum begünstigen. Des Weiteren sind einige Arten in der Lage Luftstickstoff zu fixieren und/oder Toxine zu produzieren. Die Toxine werden normalerweise nicht von den Cyanobakterien an die Umwelt abgegeben, sondern erst, wenn die Bakterien leck werden oder absterben. Im Magen des Hundes sterben die Cyanobakterien ab, sodass das Gift freigesetzt wird.

 

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2.1 Anatoxin a

Anatoxin ist eines der stärksten uns bekannten Neurotoxine der Welt. Es wird von Individuen der Cyanobakterien der Gattung Tychonema produziert. Es handelt sich um ein Alkaloid, das als Agonist an nikotinerge und muskarinerge Rezeptoren bindet. Da es durch die Acetylcholinesterase nicht abgebaut werden kann, führt es zu einer Dauerdepolarisation der postsynaptischen Membran.

Nikotinerge und muskarinerge Rezeptoren sind im Körper allgegenwärtig, sodass sie beim gesunden Tier die physiologische Erregungsweiterleitung und das Antwortverhalten am nachgeschalteten Gewebe des Parasympathikus sowie an den Muskeln gewährleisten. Zu den nachgeschalteten Geweben zählen beim Parasympathikus Nerven und seine Zielorgane, zu denen mitunter das Herz, die Lungen, die Speicheldrüsen und der Verdauungstrakt gehören. Die nikotinergen und muskarinergen Rezeptoren sind in der postsynaptischen Membran zu finden.

2.2 Symptomatik und Behandlung

 Was bewirkt Anatoxin a bei unseren Hunden?  Die Wirkung tritt ca. nach 15 Minuten ein. Zuerst fällt die Nickhaut leicht vor, sodass aber die Pupille nicht verdeckt ist. Dennoch ist das Sehvermögen stark eingeschränkt. Es folgt Ataxie in den Hinterbeinen und schließlich in den Vorderbeinen, sodass der Hund weder gehen noch stehen kann. Schließlich liegt der Hund komatös in Seitenlage, krampft und speichelt abnormal viel. Des Weiteren folgt unkontrollierter Harn- und Kotabsatz, sowie auch Atemnot und Herz- Kreislaufstörungen. Die obduzierten Hunde zeigten alle Organblutungen und Nierentubulusnekrosen, doch dies sind Nachwirkungen des Schocks und nicht als Symptome auf die Wirkung des Anatoxin a anzusehen. Schließlich endet es mit dem Tod durch Atemstillstand oder Herzversagen. Von Beginn der Symptome bis zum Tod vergehen im Schnitt sieben Minuten.

Hat der Hund eine Chance zu überleben? Ja, aber nur eine sehr, sehr geringe. Gegengifte gibt es keine, was die Therapie erschwert. Der Tierarzt versucht den Magen auszuspülen, der Hund wird an die Infusion gehängt und gegebenenfalls beatmet. Die Therapie kann sich über mehrere Tage hinziehen und immer hängt das Leben des Hundes am seidenen Faden. Viele der Hunde versterben bereits, bevor sie zum Tierarzt kommen oder während der ersten Minuten der Behandlung. Das Überleben des Hundes hängt vom Alter, Vorerkrankungen, anatomisch bedingten Atemwegsbeschwerden (bei brachycephalen Rassen) und Dosis des Giftes ab.

 

2.3 Dosis

Die letale Dosis variiert stark. Bei Mäusen wurden Versuche dazu durchgeführt, indem ihnen durch IP-Injektion Anatoxin a verabreicht wurde. 100% der Mäuse starben bei einer Dosis von 100µg/kg KG. Es sind weitere Fälle bekannt, bei denen der Hund lediglich einen Stock, der am Uferbereich lag, im Maul hatte und bereits mit Vergiftungssymptomen in die Klinik musste (dieser Hund hat zum Glück nach vier Tagen Behandlung mit dauerhafter Beatmung überlebt). Beim Hund reichen ein bis zwei Schlucke Wasser, dass er daran stirbt. Bei obduzierten Hunden wurden im Magen Anatoxin a – Konzentrationen von bis zu 1870 µg/L gefunden.

3. Tychonema und warum wird sie nicht gesehen?

Eigentlich müssten die Hundebesitzer doch die Cyanobakterien sehen und ihre Hunde von den Algenmatten fernhalten. Jeder weiß doch wie die Cyanobakterien auf sich aufmerksam machen: Großflächige türkisfarbene Schlieren, wunderschön auf den ersten Blick. Also warum sehen die Hundebesitzer dies nicht? Sind sie farbenblind? Achten sie gar nicht erst drauf? Nein, die Antwort ist, es gibt nichts zu sehen. Die Hundebesitzer haben keine Chance, das Wasser visuell auf den Gehalt an Tychonema zu überprüfen, da Tychonema eine Symbiose mit dem Wassermoos Fontinalis antipyretica eingeht. Kleine Klumpen dieses Wassermooses wurden in den Mägen der obduzierten Hunde gefunden. Fontinalis antipyretica gedeiht am besten bei Temperaturen zwischen 10 und 26 °C, bei sonnig bis halbschattig und wächst am besten in einer Wassertiefe zwischen 0 und 80 cm. Lösen sich von diesem Wassermoos kleinste Klumpen, schwimmen sie oberflächlich gen Ufer, an dem die Hunde diese mit dem Wasser aufnehmen. Individuen der Gattung Tychonema sind inzwischen an vielen Orten der Welt zuhause. Mitunter in Australien, Kanada, den USA, in Schweden, Italien und in Deutschland.

Da sich diese toxischen Cyanobakterien dort vor allem in großen Seen ansiedeln, wie dem Eriesee in den USA oder dem Lake Alexandrina in Australien, stellt dies eine Schwierigkeit für die Trinkwasserversorgung von Menschen und Tieren dar.

Ein Artikel von E. Beck, Studentin der Veterinärmedizin

Quellen:

(1) Bundesgesundheitsbl 2015 · 58:908–920 DOI 10.1007/s00103-015-2192-8. Online publiziert: 8. Juli 2015 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015 – Aufgerufen: 06.07.2021 8:00 Uhr

(2) Terrestrische Cyanobakterien als Quelle für antimikrobielle Wirkstoffe, Marco Witthorn, Anna Schwarz, Dorina Strieth, Selina Lenz, Roland Uber, Kai Muffler, Fachbereich 1 – Life Sciences And Engineering, TH Bingen; Lehrgebiet Bioverfahrenstechnik TU Kaiserslautern – Aufgerufen 06.07.2021 8:14 Uhr

(3) Tödliche Neurotoxikose bei Hunden im Zusammenhang mit Tychoplanktikum, Anatoxin-a-produzierendem Tychonema sp. in Mesotropher Tegeler See, Berlin;                                                                                                                               

 Jutta Fastner, Camilla Beulker, Britta Geiser, Anja Hoffmann, Roswitha Kröger, Kinga Teske, Judith Hoppe, Lars Mundhenk, Hartmud Neurath, Daniel Sagebiel, und Ingrid Chorus. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC5848161/ – Aufgerufen: 08.06.2021 8:17 Uhr

(4) Cyanobakterielle Toxine der Laurentian Great Lakes, ihre toxikologischen Wirkungen und numerische Grenzen im Trinkwasser; Todd R. Miller, Lucas J. Beversdorf, Chelsea A. Weirich und Sarah L. Bartlett; Joseph J. Zilber School of Public Health, University of Wisconsin-Milwaukee, Milwaukee, WI 53211, USA; Wissenschaftliche Herausgeber: Wenche Eikrem und Keith B. Glaser; Veröffentlicht: 2. Juni 2017 https://www.mdpi.com/1660-3397/15/6/160/htm – Aufgerufen: 08.06.2021 8:46 Uhr

(5) Cyanobakterielle Toxine; Wayne W. Carmichael; Aus: Spektrum der Wissenschaft 3 / 1994, Seite 70 https://www.spektrum.de/magazin/cyanobakterielle-toxine/821423 – Aufgerufen: 08.06.2021 9:21 Uhr

(6) Cyanobacteria – Toxine; ©2021 – Institut für Veterinärpharmakologie und ‑toxikologie, Winterthurerstrasse 260, 8057 Zürich, Schweiz    https://www.vetpharm.uzh.ch/giftdb/pflanzen/0024_tox.htm – Aufgerufen: 08.06.2021 9:36 Uhr

(7) Quellmoos – Willow Moss / Fontinalis Antipyretica im Bund für den Teich; WFW wasserflora Inhaber: Winfried Janke; 52222 Stolberg Deutschland https://www.wasserflora.de/p/quellmoos-willow-moss-fontinalis-antipyretica-im-bund-fuer-denteich-uegb024bl-a4895.htm – Aufgerufen: 08.06.2021 9:47 Uhr