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Ein Jahr nur Zuhause – Ein Bericht über das Jahr der Pandemie und zwei Semester des tiermedizinischen Studiums im eigenen Zimmer von Valerie Leandra Lisser

Gemeinsam verantwortlich handeln, Solidarität in der Krise zeigen, online-Lehre.

Ein paar Wörter, die für knapp 6300 Studierende der Tiermedizin in Deutschland mittlerweile eine Tragweite erreicht haben, die wir uns Anfang des Jahres kaum hätten vorstellen können.

Ein Studium, das vorher durch viel Präsenzlehre gestaltet war, wurde komplett umgekrempelt, um den Studierenden auch in der Zeit mit (sozialem) Abstand die bestmögliche Lehre zu gewährleisten.

Unzählige Professoren, Dozierende und Mitarbeiter der Universitäten versuchten in nur wenigen Wochen ein neues Format zu gestalten.

Mit Erfolg?

Eine E-Mail nach der anderen, immer mehr neue Informationen, uns wurden online Plattformen wie „Webex“ vorgestellt, erklärt, wie die Anwesenheitskontrolle bei Pflichtveranstaltungen ablaufen würde, wie man gewährleisten würde, dass bestimmte Fächer dennoch einen Präsenztermin haben würden, online-Testate, online-Klausuren, online-Meetings.

Aber eben alles online.

Was bedeutete das für uns? Ein Jahrgang an der Freien Universität Berlin, der nun mitten in seinen Physikumsprüfungen war?

Hatten wir Tierzucht und Genetik sowie Biochemie ja gerade noch vor Beginn der Pandemie im Februar 2020 abschließen können (wenn man denn am 1. Versuch teilnehmen konnte bzw. erfolgreich war).

Und alles weitere? Was war mit den Fächern Histologie und Embryologie, Physiologie und vor allem Anatomie?

Alles nur von Zuhause aus.

Man versorgte uns mit Videos, einem online Praktikum und Hausaufgaben.

Als Vorbereitung für das Anatomiephysikum bekamen wir einen Präsenztermin.

Einen Termin.

Für ein ganzes Semester.

Die Lehre lief gut ab, wir hatten stets Ansprechpartner bei technischen Problemen, man erfuhr eine gute Betreuung durch die Dozierenden.

Doch das praktische Wissen, das uns durch solch ein Semester verloren gegangen ist, ist dennoch offensichtlich.

Learning by doing könnte man jetzt natürlich gut sagen, ein kleines Virus, das eine ganze Welt lahmlegt. Das passt natürlich sehr gut in unser neues Fach Allgemeine Virologie.

Immerhin ein Vorteil.

Vielleicht kann ich mir so den Lernstoff besser merken.

Auch wenn das letzte Semester des vorklinischen Abschnitts für uns nur online war, gab es doch viele logistische und praktische Hürden, die von vielen überwunden werden mussten.

Technische Ausrüstung.

Allein, wenn das W-LAN zuhause nicht ausreichend war, um vernünftig an einem Webex-Meeting teilnehmen zu können, stellte es einen doch vor enorme Probleme.

Auch liefen die Programme nur auf Betriebssystemen von Windows und mit einem älteren Laptop vielleicht gar nicht.

Also?

Aufrüstung. Aufrüstung mit technischem Equipment, das einen erfolgreich durch die Pandemie bringen würde, äh, das online Semester.

Doch wovon sollte man dies bezahlen? Viele Studierende in ganz Deutschland verloren ihre Nebenjobs: Bars, Restaurants, Messen, schlossen oder wurden gar nicht erst eröffnet.

Ein rettendes Wort: Notfonds.

Notfonds wurden eingerichtet, um Studierenden zu helfen, die beispielsweise Geld für technische Aufrüstung benötigten.

Doch das war leichter gesagt als getan. Ein weiterer Weg mit vielen Hürden, um eine finanzielle Unterstützung zu erhalten oder man wurde „einfach“ abgelehnt.

Doch wer sprang dann in den Ring, um uns zu helfen?

Unsere Fachschaft.

Auch unsere Fachschaft machte es möglich Studierenden des Fachbereiches finanzielle Unterstützung zu geben. Und das lief leichter ab als gedacht.

Schon hatte man Unterstützung und konnte sich vielleicht wenigstens einen Teil des benötigten technischen Equipments zulegen, auch, wenn das Elternhaus einen nicht unterstützen konnte.

Und dann war man ja eigentlich schon fast bereit für ein erfolgreiches online Semester an der FU Berlin.

Erfolg ist ja dennoch relativ zu sehen.

Ich würde meinen, es sei auch ein Erfolg, täglich seine Freunde und Kommilitonen in der Uni zu sehen.

Kaum möglich dieses Jahr.

Es sei ein Erfolg, mittags in der kleinen Mensa noch einen Muffin abzukriegen, wenn man nach ein paar Vorlesungen so großen Hunger hatte.

Es sei ein Erfolg, in der Bib das letzte Exemplar eines Buches zu ergattern.

Doch all diese „Erfolge“ blieben dieses Jahr aus.

Welche Folgen so ein abgeschottetes Dasein für unsere Bevölkerung haben wird, lässt sich erst nach und nach erkennen.

Die soziale und mentale Unterstützung von Kommilitonen und Freunden, ein anspruchsvolles Studium, wie das unsere durchzuziehen, ist immens.

Jetzt muss man sich neue Strategien zulegen, um zu lernen, motiviert zu bleiben und den Kontakt zu halten.

Und den Kopf frei, wenn man doch so beengt im eigenen Zimmer saß.

Wenigstens war es Sommer. Wir lernten mit Abstand am See. Man traf sich, riss die Fenster auf und versuchte so, die Masse an Lernstoff in den Kopf zu kriegen sowie das Virus draußen zu lassen.

Fraglich, wie man dies im Winter tun wird, statt Covid-19 bekomme ich dann eine normale Erkältung, wenn ich dauerhaft im Zug sitze, um für ausreichend Frischluft in meiner Lerngruppe zu sorgen.

Und wer wurde in dieser Zeit belohnt?

Die Wesen, für die wir dieses Studium auf uns nehmen: unsere Haustiere.

Vorher vielleicht öfters noch allein Zuhause, treu wartend, dass Herrchen oder Frauchen bald wieder zurückkämen, war es nun möglich, diese Begleiter fast mitteilnehmen zu lassen an den vielen Fächern. Ja, da wurden meine Hunde, schon öfters mal untersucht, die beste „medizinische“ Betreuung haben sie jedenfalls.

So kann man auch mal schnell zwischen zwei Vorlesungen, mit nur 15 Minuten Pause, eine kleine Spielpause mit ihnen einlegen.

Die längeren Pausen von 45 Minuten, kann ich gut verbringen, um eine Runde Gassi zu gehen. Das war vorher nicht möglich.

Unsere größten Motivationen sitzen tagtäglich neben uns, auf uns oder sind ganz in der Nähe und das dauerhaft.

Zugegebenermaßen ein wirklich schöner Effekt des Lockdowns bzw. der gesamten Pandemie.

Und ansonsten?

Vorlesung im Pyjama, Essen ad libitum, Wohlfühlatmosphäre rund um die Uhr, all das nur möglich gemacht durch ein neues Format der Lehre.

Menschen, die sonst an Lehrveranstaltungen aus gewissen Gründen nicht teilnehmen konnten, ist dies nun möglich, man kann mehr Wahlpflichtfächer als sonst belegen, wird ja als Video bereitgestellt, und jeder kann dann lernen, wenn für ihn die beste Uhrzeit ist.

Das ist dann wohl die glänzende Seite der Medaille.

Trotzdem bin ich dankbar, in einer Tierarztpraxis arbeiten zu können und so den wirklich praktischen Bezug zu den behandelten Themen herzustellen. Da wird es zum Erlebnis des Tages oder der Woche, wenn man mal einen echten Parasiten unter dem Mikroskop sieht oder bei einer spannenden OP dabei sein kann.

Und unsere Prüfungen?

Testate online, Hausaufgaben als Anwesenheitskontrolle und ein Physikum hinter einer Plexiglasscheibe.

Jeder 2. Platz blieb leer im E-Examination-Center, alles zusätzlich getrennt mit Plexiglasscheiben, Zutritt nur mit Mund-Nasen-Bedeckung und Auskunftsbogen.

Die mündliche Prüfung in Physiologie ebenfalls nur mit Mund-Nasen-Bedeckung, Auskunftsbogen, dem eigenen Stift und viel Abstand.

In Anatomie die gleichen Maßnahmen plus einer Plexiglasscheibe, Handschuhen bei allen Präparaten, ob Plastinat oder nicht. Und ganz, ganz, ganz viel Abstand zu allen anderen.

Schon merkwürdig.

Noch merkwürdiger endlich wieder ein Frischpräparat auf dem Tisch zu haben.

Doch auch diese Phase war bald vorbei, endlich hatte man es hinter sich gebracht, der Weg zum klinischen Abschnitt frei.

Fast.

Etliche hatten noch ein landwirtschaftliches Praktikum nachzuholen, welches im Frühjahr durch den plötzlichen Ausbruch der Pandemie abgesagt worden war.

Zittern und Bangen, ob es nun stattfinden würde.

Und das tat es.

Endlich etwas Praxis.

Endlich wieder Tiere.

Endlich Abwechslung.

Wenn auch hier etwas anders als gewohnt. Überall nur Zutritt mit Mund-Nasen-Bedeckung, Abstand zu allen Mitarbeitern und Teilnehmern einhalten. Na ja, wenigstens kein Abstand zu den Tieren.

So schön es war, so schnell war aber auch diese Zeit wieder vorbei und das neue Semester beginnt.

Wir, nun alles alte Hasen, hatten natürlich kein Problem mit dem Start ins online Semester.

Doch das ging nicht allen so:

Für die neuen Erstis war dieser Start wohl extra schwierig.

Vieles wurde abgesagt, keine witzigen Erstitage, bei denen man die Neuen kennenlernen sowie ein paar Kontakte in die höheren Semester knüpfen konnte.

Alles, wie immer, mit Abstand, da fällt es schwer, ein paar Kennenlernspiele zu spielen, oder, angesichts geschlossener Bars und Restaurants, die anderen bei einem Bierchen besser kennenzulernen.

Nicht mal ein Semesterfoto wurde von den Erstis aufgenommen, hier besteht eindeutiger Nachholbedarf, wenn auch mit Mund-Nasen-Bedeckung und Abstand.

Das Mentoring und viele Freiwillige aus dem Fachbereich, taten dennoch alles, um den neuen Erstsemesterstudierenden einen angenehmen Start in ihr Studium zu gewährleisten und eine veränderte Form der Erstitage durchzuführen.

Auch gab es wieder viel Neues, viele Webex-Meetings, aber vor allem, wie wir es schon so oft dieses Jahr an unserer Uni erleben durften: viel Zusammenhalt.

Wenn uns die Pandemie eins gelehrt hat, dann, dass man nicht aufgeben sollte und wie sehr man sich auf unseren Fachbereich verlassen kann. Es gibt immer jemanden, an den man sich wenden kann, ob an jemand in den etlichen Facebookgruppen, einen höheren Studi, die Vertrauensdozierenden, die Professoren oder einfach einen der Mentoren, es ist immer jemand da, der einem hilft.

Und wie finden wir das nun alles?

Nun endlich im klinischen Abschnitt, da kommt mehr Praxis, mehr Spannendes, mehr am Tier.

Leider (noch) nicht.

Präsenzveranstaltungen wurden weiterhin abgesagt, der zweite Lockdown „light“ macht uns einen Strich durch die Rechnung. Nicht mal das beliebte Fach Propädeutik, wofür wir uns alle doch extra neue Stallklamotten, Schürzen, Kittel, Untersuchungsbesteck geholt hatten, findet bis auf weiteres nur online.

Einen Nachholtermin wird es hoffentlich im Februar geben, als Block hintereinander an ein paar Tagen.

Alles natürlich deutlich reduziert und auch noch nicht sicher.

Da bin ich einmal mehr froh, in einer Tierarztpraxis arbeiten zu dürfen.

Wie das nun alles weitergehen wird, das wissen wir wohl alle noch nicht.

Doch einmal mehr gibt es zusätzliche Hausaufgaben als Anwesenheitskontrolle, die Möglichkeit mehr Wahlpflichtveranstaltungen zu besuchen, seinen Tag nach den eigenen Wünschen und Notwendigkeiten zu gestalten und noch ein Semester mehr ganz oft bei den eigenen Haustieren oder Familienmitgliedern zu sein.

Der praktische Verlust ist auch dieses Semester wieder enorm, obgleich sehr viel getan wird, um den Schaden so gering wie möglich zu halten.

Ein Semester mehr kaum soziale Kontakte, man muss sich allein durch den Lernstoff kämpfen und das in der grauen Jahreszeit.

Vieles wird nicht leichter werden, aber wir werden vieles lernen, auch über uns selbst.

Und eins wird uns für immer im Gedächtnis bleiben: das Jahr, in dem sich unser Alltag radikal verändert hat. Alles nur durch ein kleines Virus, ein Virus, das die Welt verändert hat und unser Leben.

Als zukünftige Tierärztinnen und Tierärzte wird unsere Generation vielleicht besser denn je verstehen, wie wichtig Erkenntnisse in der Medizin sind, was eine Zoonose der ganzen Bevölkerung antuen kann und wieso wir Systeme wie One-Health entwickeln und wir die Zusammenarbeit vieler Disziplinen benötigen, um eine optimale Gesundheit für Mensch, Tier und unsere Umwelt zu gewährleisten und zu erreichen.

Bleibt stark und schaut nach vorn, irgendwann wird auch dies vorbei sein und wir werden unsere Normalität zurück haben, wenn auch vielleicht eine neue.