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Das verschobene Normativ – die andauernde Debatte ums Tierwohl –

Das Tierwohl in der Nutztierhaltung ist in der heutigen Gesellschaft ein kontrovers diskutiertes Thema. Bei einigen startet die Diskussion schon bei dem Begriff „Nutztier“, andere wiederum beziehen sich auf das Stallmanagement und die Haltungsbedingungen.

Laut Wikipedia sind Nutztiere Tiere, die vom Menschen wirtschaftlich genutzt werden, sei es als Nahrungslieferant, als Nebenproduktlieferant, als Arbeiter und Helfer oder als Attraktion.[1] Zu den klassischen Nutztieren zählen Rinder, Schweine, Hühner, Gänse, Schafe, Ziegen und Mastkaninchen. Das gemeinsame Hauptziel aller Nutztiere in der Intensivhaltung ist die ökonomische Effizienz.[2]

Wie kann man Tierwohl im Kontext von Wirtschaftlichkeit und internationaler Konkurrenz überhaupt umsetzen? Und was bedeutet eigentlich Tierwohl? Diesen Fragen möchte ich im Folgenden auf den Grund gehen.

 

Bei meinen Recherchen bin ich auf keine allgemeingültige Definition für diesen Begriff gestoßen. Entscheidend sind aber zweifelsfrei die Gesundheit und das Wohlbefinden der Tiere, sowie die Möglichkeit, ihren natürlichen Verhaltensweisen nachzugehen.

Ein international anerkanntes Konzept zur Bewertung des Tierwohls sind die sogenannten „5 Freiheiten“ [3]:

 

1) Freiheit von Hunger, Durst und Fehlernährung

2) Freiheit von Unbehagen

3) Freiheit von Schmerz, Verletzungen und Krankheit

4) Freiheit von Angst und Leiden

5) Freiheit zum Ausleben normalen Verhaltens

 

Würden diese Freiheiten ohne Wenn und Aber eingehalten werden, würde es höchstwahrscheinlich nicht zu dieser Fragestellung kommen. Obwohl Deutschland im nationalen Vergleich ein relativ gutes Tierschutzgesetz hat, werden die gesetzlichen Regelungen und Vorgaben in vielen Betrieben nicht oder nur mangelhaft umgesetzt, sei es aus Unwissenheit, Mutwillen oder schlichtweg aus finanziell bedingtem Unvermögen.

Um das Tierwohl speziell für Nutztiere zu gewährleisten, gibt es die Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung, in welcher die Mindestanforderungen für die Haltung der Tiere niedergeschrieben sind. Meines Erachtens ist das große Problem an dieser Verordnung, dass diese Mindestanforderungen nicht als solche angesehen werden, sondern davon ausgegangen wird, dass sie zur Gewährleistung von Tierwohl ausreichen. In vielen Unterpunkten sind die Anforderungen jedoch nur darauf ausgerichtet, die Freiheit von Leiden zu gewährleisten, aber um von Tierwohl zu sprechen, ist das lange nicht ausreichend. Schließlich kann sich beispielsweise eine ausgewachsene Sau mit einem Gewicht von knapp 100 kg auf einer Fläche von 0,75qm und Spaltenboden (ohne Stroheinlage) mitnichten wohlfühlen und ihrem Instinktverhalten nachgehen. Schweine sind eigentlich sehr reinliche Tiere, welche ihre „Toilettenecke“ von der „Schlaf- und Futterecke“ trennen, wenn denn ausreichend Platz zur Verfügung steht. Außerdem suhlen Schweine sich gern in Schlamm oder Wasser, um sich abzukühlen.[4]

 

Nicht nur die Haltungsbedingungen grenzen das Wohlbefinden stark ein, sondern auch die Folgen der ausschließlich auf Masseeffizienz ausgerichteten Zucht, denn Zuchtsauen bekommen mittlerweile weitaus mehr Ferkel als sie Zitzen besitzen, was wiederum zu neuen Problemen führt. Im Zusammenhang der Körpermasse sind auch die häufigen Technopathien zu sehen.

Dies sind nur einige Beispiele, wie der Mensch das Leben der Nutztiere negativ beeinflusst, wenn nicht sogar die artgerechte Lebensweise unmöglich macht. Kontrolliert wird die Umsetzung der rechtlichen Vorgaben von den zuständigen Veterinärämtern, die meiner Meinung nach entweder – auch wenn die Haltungsbedingungen in den kontrollierten Betrieben nicht als artgerecht oder auch nur regelkonform angesehen werden – oft nicht in ausreichendem Maße eingreifen können oder gar über Regelverstöße hinwegsehen.

Ist es denn nicht endlich an der Zeit, die Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung auf den heutigen Wissenstand über Wohl und Leid der Tiere anzupassen? Dank jahrelanger Forschung hat man herausgefunden, dass beispielsweise Schweine hoch intelligente Tiere sind, die sich nicht mit einem Spielball, als Beschäftigungsmaterial, im Stall zufriedengeben. Eine Angleichung der Verordnung an diesen aktuellen Kenntnisstand wäre schon ein Schritt in die richtige Richtung.

 

Neben den Haltungsbedingungen und dem Stallmanagement stehen auch direkt die LandwirtInnen als „Tierquäler“ in der Kritik. Obwohl laut vieler Umfragen die VerbraucherInnen bereit wären, teurere aber nachhaltiger produzierte tierische Erzeugnisse zu kaufen, sieht das Kaufverhalten vieler Konsumenten leider ganz anders aus: In der Regel wird dennoch nach günstigen Produkten gegriffen, sei es rein aus finanziellen Gründen oder aus Gleichgültigkeit.[5] Hier kommt die Politik ins Spiel. Rund 40% des Gesamtbudgets der Europäischen Union wird für die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) aufgewendet. Die GAP stellt somit den zweitgrößten Posten im EU-Haushalt dar.[6]  Insgesamt fließen rund 6,2 Milliarden Euro jährlich an EU-Mitteln (von 2014-2020) nach Deutschland. Die GAP besteht aus 2 Säulen: die 1. Säule beinhaltet Direktzahlungen für die Agrarbetriebe, sogenannte „Flächenprämien“, und unterstützt somit eher die konventionelle Tierhaltung. Hier heißt es, wer mehr Fläche hat, bekommt mehr Geld. Großzügige 75% des gesamten Budgets fließen in die 1.Säule.

Die 2. Säule umfasst gezielte Förderprogramme für nachhaltige und umweltschonende Bewirtschaftung und die ländliche Entwicklung.[7] Dafür stehen nur 25% des Gesamtbudgets zur Verfügung und leider sollen diese Mittel weiter gekürzt werden. Auch wenn der Druck der VerbraucherInnen auf die LandwirtInnen stetig steigt, können diese nicht von jetzt auf gleich ihre Ställe und ihr Management an die Wünsche der Gesellschaft anpassen. Die immer weiter sinkenden Preise für tierische Lebensmittel reißen ein immer größer werdendes Loch in die Kassen der LandwirtInnen und dadurch fehlen ihnen oftmals die nötigen finanziellen Mittel, um ihren Tieren eine artgerechtere Haltung und somit mehr Wohlbefinden zu ermöglichen. Und somit schließt sich der Kreis, denn werden günstige Lebensmittel gekauft, so bekommen LandwirtInnen wenig Geld für ihre Produkte und somit bleibt weniger Geld für das Wohl der Tiere.

Wie also kann man denn nun Tierwohl im Kontext von Wirtschaftlichkeit und internationaler Konkurrenz umsetzen?

Hier sollen Tierwohllabel Abhilfe leisten, in dem sie den VerbraucherInnen mittels Ampelsystem auf die Bedingungen der Haltung, des Transportes und der Schlachtung aufmerksam machen. Obwohl dies ein kleiner Anfang ist, dürfen dennoch nicht die Tiere derjenigen Betriebe vergessen werden, die kein Gütesiegel auf ihrer Verpackung tragen.

Greift die Regierung diesen Betrieben nicht unter die Arme und erhöht die staatlichen finanziellen Unterstützungen für eine nachhaltige und umweltschonende Bewirtschaftung und eine artgerechte Tierhaltung, dann werden weiter zunehmend  kleinere Betriebe schließen und die konventionelle Massentierhaltung als ewige Normalität fortbestehen. •LiS•

 

Zur Autorin: Lisa Sarodnick ist Studentin an der VMF in Leipzig und befindet sich derzeit im 6. Fachsemester. Sie ist Leiterin der AG-Tierschutz und hat sich sehr intensiv mit dem Thema „Tierwohl in der Nutztierhaltung“ befasst und möchte euch nun an ihrer Recherche teilhaben lassen.

[1] vgl. www.wikipedia.org/wiki/Nutztier Abrufdatum: 13.05.2020

[2] vgl. www.vier-pfoten.de/kampagnen-themen/themen/nutztiere/nutztiere-definition

Abrufdatum: 13.05.2020

[3] Zitat aus: www.welttierschutz.org/themen/tierschutz-im-weltzukunftsvertrag-verankern/die-fuenf-freiheiten-der-tiere/ Abrufdatum: 13.05.2020

[4] vgl. www.tierwohl-staerken.de/aktuelles/news-details/news/so-leben-schweine/?no_cache=1&cHash=531d6e848c1d280288dca4ac38e47920 Abrufdatum: 13.05.2020   

[5] vgl. https://www.oekolandbau.de/bio-im-alltag/bio-fuer-die-umwelt/tierhaltung/expertinnen-zum-tierwohl/ Abrufdatum: 18.05.2020

[6] Zitat aus www.bund.net/themen/landwirtschaft/eu-agrarpolitik/ Abrufdatum: 13.05.2020

[7] Zitat aus www.bmel.de/DE/themen/landwirtschaft/eu-agrarpolitik-und-foerderung/gap/gap-nationale-umsetzung.html Abrufdatum: 13.05.2020