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Statement des bvvd e.V. zur Kooperation mit der Evidensia Deutschland GmbH

Für eine bessere Lesbarkeit wird im Folgenden das generische Maskulinum stellvertretend für alle Geschlechter verwendet.

Im Oktober 2018 startete unsere Kooperation mit Evidensia, einer aus Schweden stammenden Tiermedizin-Gruppe mit dem Ziel das lokale Unternehmertum der bestehenden Kleintierkliniken und -praxen mit einem zentralen Praxismanagement[1] zu verbinden. Die Entscheidung zur Zusammenarbeit wurde einen Monat zuvor bei unserer halbjährlichen live Vorstandssitzung nach einer kritischen Fragerunde via Telefonkonferenz mit drei Evidensia-Mitarbeitern getroffen und anschließend bei der Mitgliederversammlung in Berlin (14.-16.12.2018) dem anwesenden Plenum vorgestellt.

Nach einem Jahr der gemeinsamen Arbeit evaluieren wir die bestehenden Vereinbarungen und gehen vorweg nochmals auf die Gründe für den Beginn der Kooperation ein. Zudem wird der Umgang mit Nestlé als neuem Investor der IVC Evidensia (als Mutterkonzern der Evidensia Deutschland GmbH) seit April 2019 diskutiert. In einem Fazit äußern wir uns zur weiteren Zusammenarbeit.

 

Gründe für den Start der Kooperation

Im Rahmen der aktuellen Debatte um den Strukturwandel in der Tiermedizin und den bestehenden Einfluss von Investoren ist Evidensia für uns – ebenso wie der im Januar 2019 als Interessensvertretung für tiermedizinische Arbeitgeber gegründete Verband unabhängiger Kleintierkliniken e.V. (VUK)[2] – ein wichtiger Partner, um mitzudiskutieren und mitzugestalten, anstatt sich gegenüber dem unvermeidbaren Wandel der Klinikwelt zu versperren. Grundsätzlich sind die Ziele der beiden vergleichbar, jedoch steht beim VUK kein externer Investor im Hintergrund. Um uns und den Studierenden die Möglichkeit des Kennenlernens zu bieten, sahen (und sehen) wir die Kooperation als Chance für mehr Transparenz in dieser Kontroverse, sowie als Plattform um Vorurteile unsererseits und von Seiten unserer Kommilitonen zu diskutieren. Diese Transparenz soll nicht zuletzt durch das vereinbarte Angebot von mehr Praktikumsstellen ermöglicht werden. So haben Studierende Gelegenheit sich persönlich vor Ort ein Bild von den Abläufen und Bedingungen in den entsprechenden Evidensia-Kliniken zu machen.

Geht es um einen Strukturwandel, so sind die Debatten um Investoren im tiermedizinischen Markt zumeist durch Sorgen und unausgesprochene Vorurteile gefärbt. Als Bundesverband der Veterinärmedizinstudierenden möchten wir Inhalte und kritische Punkte aktueller berufspolitischer Diskussionen vermitteln, indem wir häufige Argumente aus einer möglichst objektiven Perspektive beleuchten. Daher ist uns eine breit gefächerte Palette an Kooperationspartnern wichtig, mit denen wir die unterschiedlichen Facetten der aktuellen Berufspolitik aufzeigen können.

 

Inhalte der bisherigen Kooperation

Wichtige Bestandteile der bisherigen Kooperation mit Evidensia waren zum Einen lokale Veranstaltungen mit den MECs (Member of executive Committee, lokale Ansprechpartner des bvvd an den Fakultäten), wie zum Beispiel die praktisch-orientierten Nahtkurse, die letzten Sommer in Berlin stattfanden und zum Anderen die Teilnahme bei unseren Kongress-Rallyes 2018 und 2019 (bpt- und DVG-Kongresse in beiden Jahren).

Zentraler Gegenstand der Kooperation ist das im vergangenen Frühjahr gestartete “Berufseinsteiger”-Projekt. Momentan befindet sich dieses noch in der Entwicklungsphase und soll ab Vollendung nach und nach an allen Evidensia Kliniken des DACH-Raumes etabliert werden. Dadurch soll der großen Bedeutung einer guten Einarbeitung für den erfolgreichen Berufseinstieg Rechnung getragen werden. Der Ablauf des 12-monatigen Programms wird sich in drei Blöcke aufteilen, die im zeitlichen Verlauf immer tiefer in die Materie einführen sollen. Nacht- und Notdienste sollen hier ab der achten Berufswoche mit einem erfahrenen Tierarzt im Hintergrund bestritten werden. Sowohl aus Erfahrungsberichten als auch aus unserer Umfrage (s.u.) wird der Wunsch der Studierenden nach einem erreichbaren Ansprechpartner bei fachlichen oder organisatorischen Fragen in den ersten Monaten des Berufslebens ersichtlich. Deswegen wird das Konzept eine Tutoren/Mentoren-Struktur, sowie zusätzliche interne und externe Seminare und Trainings zur weiteren Unterstützung der Berufsanfänger beinhalten.

Wie bereits erwähnt ließen Evidensia und wir im Frühjahr des letzten Jahres zum Start des Projekts eine Umfrage an allen deutschsprachigen Fakultäten zum “Berufseinstieg in der Kleintiermedizin” laufen. Es wurde hierbei gefragt, was die Teilnehmer in erster Linie zum Studium bewegte und ob sie bereits spezifische Vorkenntnisse gesammelt hatten. Dann wurde um eine Einschätzung der Studieninhalte im Hinblick auf Ersttagskompetenzen und die Vorbereitung auf den Berufseinstieg (fachlich und soft skills) gebeten. Für eine sinnvolle Gewichtung der Fähigkeiten innerhalb des Leistungskataloges stellten wir zudem die Frage nach den subjektiven Prioritäten bei der Einarbeitung (einzelne kurative Fähigkeiten oder Einblicke in die Betriebswirtschaft, usw.). Abschließend wurde gefragt, wie die eigenen Karrierechancen aktuell in der Kleintiermedizin wahrgenommen werden.

Die Ergebnisse der Umfrage sind richtungsweisend für das gemeinsame “Berufseinsteiger”-Programm und wurden erstmals beim bpt-Kongress 2019 in München präsentiert.

 

Evaluation der bestehenden Kooperation

Bei der Planung und Durchführung bisheriger gemeinsamer Veranstaltungen und dem Start des “Berufseinsteiger”-Programmes hat sich gezeigt, dass wir mit Evidensia einen interessierten und engagierten Partner für unsere Studierenden haben, der mit uns auf Augenhöhe arbeitet. Das Team des DACH-Verbandes hat sich uns gegenüber stets authentisch und offen für Fragen, Anregungen, aber auch Kritik gezeigt. Wir verfolgen das gemeinsame Bestreben, den Studierenden wertvolle Praktika und eine gut strukturierte Einarbeitung mit gutem Einstellungsgehalt für Berufseinsteiger zu bieten.

Ein kritischer Punkt für uns ist der Einstieg von Nestlé als Investor der IVC Evidensia im April 2019[3]. Die Tiermedizin-Gruppe beabsichtigt jedoch weiterzuarbeiten wie bisher, denn als Minderheitseigner hat der Konzern keinerlei Einfluss auf die Entscheidungen der IVC Evidensia. Dennoch: Die mit der Produktion von Palmöl assoziierte Zerstörung des Regenwaldes, sowie die Kapitalisierung von Trinkwasser in Regionen Afrikas und, insbesondere tiermedizinisch relevant, der Skandal um Ethylenglycol in Purina Produkten, sind unter anderem gesellschaftlich nicht ausreichend verurteilte Praktiken von Nestlé im globalpolitischen Ausmaß. Die Frage, ob unsere Kooperation mit Evidensia klar abgetrennt von dieser hyperkapitalistischen Vorgehensweise laufen kann, beschäftigt uns. Wir sind uns aber auch bewusst darüber, dass unsere Priorität als tiermedizinischer Verband auf der produktiven Diskussion um den Strukturwandel und die Arbeitsbedingungen in unserer Branche zu liegen hat. Nichtsdestotrotz fühlen wir uns zu der kritischen Auseinandersetzung mit dem Unternehmen Nestlé und der Aufklärung unserer Kommilitonen darüber verpflichtet.

Sollte der Investor Nestlé in der IVC Evidensia unangenehmer durchschlagen oder die Kooperation mit der Evidensia Deutschland GmbH aus anderen Gründen nicht mehr tragbar für den Verband sein, behalten wir uns (wie bei all unseren Kooperationen) das Recht vor, die Zusammenarbeit zeitnah zu beenden. 

Abseits der Kritik lehrt uns der – in keinem Sinne als altruistisch zu bewertende – Einstieg Nestlé’s in den tiermedizinischen Markt erneut, dass eine deutliche Profitsteigerung in unserem Sektor möglich ist. Wobei hier nicht auszuräumende Vorwürfe eines kurzfristigen, profitmaximierenden Ansatzes, ohne Interesse an einem langfristig gesunden System im Raum stehen. Inwieweit diese Vorwürfe zutreffen und ob nicht schärfere Konkurrenz durch wirtschaftlichere Praxen und Kliniken auch positive Effekte auf angestellte Tierärzte und die ganze Branche haben können, vermögen wir nicht zu sagen. Da Evidensia, wie auch andere ihrer Branche, als neue Investoren im tiermedizinischen Markt wahrscheinlich eine große Rolle für unseren zukünftigen Arbeitsmarkt spielen werden, ist also ein möglichst unverstellter Blick unsererseits gefordert.

Die Aufrechterhaltung der tiermedizinischen Notdienstabdeckung wird, gerade in ländlichen Regionen, herausgefordert von stärkeren Kontrollen eines unflexiblen Arbeitszeitgesetzes und einer geringen Wirtschaftlichkeit von Notdiensten. Junge Arbeitnehmer fordern gesunde Arbeitsbedingungen und in Rente gehende Klinikinhaber finden oft keinen übernehmenden Veterinär. Diesen Klinikinhabern dürfen wir nicht vorwerfen an andere Investoren zu verkaufen. Ebenso dürfen wir niemandem vorwerfen, das Risiko eines Kredits für die Übernahme einer Klinik nicht eingehen zu wollen, sowie die einhergehenden Verpflichtungen und Kompetenzen eines Klinikinhabers nicht auf sich nehmen zu wollen. Erfolgreiche tiermedizinische Arbeitgeber leben uns vor, dass man sich Fachkunde in Betriebswirtschaftslehre, Mitarbeiterführung und Marketing neben dem Tagesgeschäft der Tiermedizin aneignen kann. Sie zeigen uns die Vorteile und die Freude einer eigenständigen Unternehmensführung. Die intrinsische Motivation und selbstverstandene Berufung zu diesem Schritt sind jedoch nicht allen gegeben. Fälle von Burnout, cholerischem Temperament und miserabler Mitarbeiterführung zeigen, dass sich manche Klinikinhaber vielleicht besser rein auf ihr tiermedizinisches Fachgebiet konzentrieren sollten.

Unterstützen wir nun also den scheinbar unvermeidbaren Strukturwandel in der Tiermedizin, indem wir mit der Tiermedizin-Gruppe Evidensia kooperieren? Hätten wir uns aktiv gegen eine solche Kooperation entscheiden sollen, um einen Strukturwandel hinauszuzögern? Welche Veränderungen auch immer auf uns zukommen werden, es sollte von einem ängstlichen Schwarz-Weiß-Denken Abstand gehalten werden. Stattdessen lohnt es sich, aus dem Wandel erwachsende Möglichkeiten zu nutzen und sich bietende Chancen zu ergreifen. Als Vertretung aller Veterinärmedizinstudierenden ist es unsere Aufgabe, unseren Kommilitonen beide Seiten aufzuzeigen und sie aufzufordern, sich mit der Thematik auseinanderzusetzen. Dieses Ziel wollen wir mit unseren Kooperationen mit Evidensia und dem VUK erreichen.

 

Fazit und Entschluss des Verbandes

Die Kooperation mit Evidensia und der Einstieg von Nestlé hat uns als demokratischen Verband gefordert, da unterschiedliche Interessen und Meinungen in unserem bunten und dadurch gesunden Vorstand zusammenkommen. Schlussendlich wollen wir aber die Zukunft der Tiermedizin aktiv mitgestalten.

Bei all unseren Vereinbarung zu Sponsorings und Kooperationen ist für uns immer der Benefit für die Studierenden und Einsteiger in die Berufswelt entscheidend. Auch Evidensia setzt sich für eben diese Benefits ein – eine gute praktische Ausbildung und faire Arbeitsbedingungen im Berufseinstieg. Außerdem bemühen sich unsere Ansprechpartner um Transparenz, sind kritikfähig und arbeiten konstruktiv mit uns auf Augenhöhe.

Für einen weiteren Blickwinkel sind wir parallel eine Kooperation mit dem VUK eingegangen und haben zusammen einen Praktikumsleitfaden erarbeitet, um auch im Bereich der Praktika die vorteilhafte Ausbildung der Studierenden zu gewährleisten.

Als nationale Studierendenvertretung geben wir unser Bestes, die breitgefächerten Interessen, Wünsche und Meinungen der Studierenden zu repräsentieren und im Umkehrschluss eine bunte Palette an zukünftigen Möglichkeiten und potenziellen Arbeitgebern vorzustellen.

 

Der erweiterte Vorstand des bvvd e.V.

München, den 31. Januar 2020

 

[1] https://evidensiagroup.de/unsere-philosophie/

[2] https://www.vuk-vet.de/verbund-unabhaengiger-kleintierkliniken-vuk-gegruendet/

[3] “Nestlé ́s acquisition of the minority shareholding in IVC Group is subject to regulatory approval. Upon completion, IVC Group will continue to operate as an independent business. No terms of this agreement will be disclosed.” https://www.nestle.com/media/news/nestle-purina-petcare-independent-vetcare-group-international-partnership (Partnership Announcement), Apr 08, 2019