Kategorie: Kuhlumne
Das Wissen vom Unwissen – Die ersten „Tage“ im Praktischen Jahr, eine Momentaufnahme
Endlich ist es soweit, endlich kann man praktisch ran an’s Tier, endlich „richtige“ Erfahrungen sammeln, endlich – habe ich einen Arm in einer Kuh?!
Nach 4 langen Jahren fast nur Theorie ist es endlich soweit: unser Jahrgang, WiSe 2018/2019, macht den großen Schritt in’s PJ, das Praktische Jahr.
Es waren so einige Auf und Abs, für meinen Geschmack zu wenig Praxis, leider auch der Coronapandemie verschuldet, viele Freudentränen, viele Abende, ja gar Nächte in der Prüfungsvorbereitung, viel Glück, viel Druck, viel Erleichterung und ganz viel Arbeit.
Nach 4 Jahren Theorie denke ich, sind wir alle sehr erleichtert, endlich an die Tiere heran zu dürfen.
Nun ergibt alles einen Sinn!
Endlich ergibt Viro, Pharma, Arzneimittelrecht, Seuchenlehre und die ganzen anderen Fächer so viel mehr Sinn, wenn man es praktisch am Beispiel eines Patienten anwenden kann.
Wir freuen uns alle sehr auf die kommende Zeit, die Zeit, die jetzt schon angefangen hat.
Nun weiß ich wieder jeden Morgen, wieso ich dieses anstrengende Studium angefangen habe.
Nun war es doch alles wert.
Die meisten von uns haben sicherlich große Erwartungen an das Praktische Jahr.
Ich kenne so einige Kommilitoninnen und Kommilitonen, die ein Praktikum im Ausland machen wollen oder bei einer großen renommierten Klinik ihr Praktikum absolvieren.
Man hat sich früh beworben, war es doch bei so manchen Stellen sehr schwierig überhaupt einen Praktikumsplatz zu erlangen, so zum Beispiel leider bei vielen Schlachthöfen.
Doch einmal eine Zusage, ist man erleichtert und ungeduldig, mit großen Erwartungen, dass es sicherlich eine großartige Zeit dort wird.
Genau so stehe ich jeden Tag im Stall, bei meiner Rotation.
Ich habe große Erwartungen an mich und an die Zeit hier.
Ich freue mich viel kennenzulernen, den Alltag der Klinik mitzuerleben. Verantwortung zu übernehmen, wenn man sich um die Patienten kümmern darf und wenn man bei OP’s mithelfen kann.
Und doch ist es irgendwie auch hier ein Auf und Ab der Gefühle.
So geht die Freude bei Untersuchungen mitzumachen oder diese selbst durchzuführen Hand in Hand mit der Enttäuschung, wenn ein anderer bei der Untersuchung, OP oder Diagnostik rankommt, und nicht man selbst.
Dieses höre ich aus den unterschiedlichsten Rotationsgruppen oder von den unterschiedlichsten Praktikantinnen und Praktikanten.
Natürlich ist es ärgerlich, wenn man wieder nur zuschauen darf und leider diesmal nicht selbst Hand anlegen darf.
Ja, nach den ersten Wochen im PJ sind viele von uns auf dem Boden der Tatsachen angekommen.
Ob dies die Kosten für die Versicherung im Ausland sind, die man vorher nicht bedacht hatte, der Praktikumsvertrag der immer noch nicht unterschrieben ist („Werde ich mein Praktikum wirklich dort machen können?“) oder einfach die ganze Organisation, jetzt. wo man quasi Vollzeit arbeitet. Mit Haustier und Familie ist dies nicht mehr so einfach.
Und leider läuft nicht immer alles so rund, wie man es sich gewünscht oder ausgemalt hatte.
Von einigen habe ich mittlerweile gehört, dass das Praktikum abgebrochen wurde.
Nicht überall ist die Stimmung friedlich. Von uns wird viel erwartet.
Ob das die morgendliche Versorgung zahlreicher Patienten ist, die man in der vorgegebenen Zeit von vornherein nicht schaffen kann, oder einfach die Chemie zwischen Praktikant*in und Praktikumsverantwortlichem nicht stimmt, es kann auch krachen.
Es kann auch zu einem Abbruch des Praktikums kommen. Dies ist leider die traurige Realität.
Ich finde es in Ordnung, seine Meinung zu sagen, zu sagen, wo man die Grenze zieht, was zu schaffen ist und was eben nicht. Leider ist es bei vielen Veterinärmediziner*innen gang und gäbe Überstunden zu machen, immer da zu sein, immer alles andere dafür hintenanzustellen.
Natürlich läuft das auch bei einigen Praktika so.
Ich ziehe meinen Hut vor meinen tapferen Kommilitoninnen und Kommilitonen, die nicht alles ertragen wollen, sondern genau eben diese Grenze ziehen und damit auch ihre Konsequenzen.
Ich bin stolz auf euch, denn man sollte auch zu sich und seiner Meinung stehen und man muss auf sich und seine Gesundheit achten. Und das sollten unsere Praktikumsstätten auch so sehen.
Wir wollen nicht schon jetzt ausgenutzt werden und dann total erschöpft in einem Jahr aus dem PJ kommen.
Ja, es ist traurig, wenn die Tierärztin zu einem sagt, „Ach ihr wart ja das Coronajahr, das keine Propädeutik hatte.“. Ja, genau das sind wir. Leider haben wir noch nicht ganz den Dreh raus, wie die Untersuchung schneller ablaufen kann, oder wie ich mein Tier richtig unter Kontrolle habe.
Ich hoffe, dass dies auch viele Praktikumsstätten und Praktiker*innen verstehen, wenn es bei uns nun mal etwas länger dauert, die Untersuchung durchzuführen. Nicht jeder hat die Möglichkeit gehabt, privat an Tieren zu üben.
Und doch verstehe ich die andere Seite auch, die Studierenden, die sich um Leib und Seele schuften, alles mitnehmen wollen, 110 Prozent geben, immer startklar sind.
Auch vor euch ziehe ich den Hut, es ist bewundernswert so viel Ausdauer zu haben, und so einiges abzukönnen.
Doch das kann auch nicht jeder. Und darauf sollten wir alle Rücksicht nehmen. Kommilitoninnen und Kommilitonen, Professorinnen und Professoren, Praktikumsstätten, Praktiker*innen und alle anderen, die wir in unserem PJ kennenlernen.
Wir geben unser Bestes, wir alle. Dies kann von außen unterschiedlich wirken, aber wir tun es.
Und genau hier setzt dieses Miteinander von guten und schlechten Erfahrungen an. Wir versuchen vieles zu wissen, tuen es jedoch nicht immer. Ganz schnell kommt dann der beschämende Blick nach unten, wenn man wieder eine Frage nicht beantworten kann.
Und eins habe ich dabei sehr schnell gelernt. Ich kenne mein Unwissen sehr gut.
Doch das ist nicht schlecht!
Durch die Erfahrungen, durch das Eingeständnis unseres Unwissens, werden wir uns verbessern, werden wissen, wo wir ansetzen müssen, um dazu zu lernen, werden genau daran arbeiten.
Und so lernen wir auch endlich kennen, was wichtig ist zu wissen ist, und was vielleicht doch nur eine wichtige Frage in der Prüfung war.
Es ist nicht schlimm, etwas nicht zu wissen, wir lernen jeden Tag weiter.
Und jetzt macht es ja erst so richtig Spaß, oder?
Jetzt, mit einer Hand in der Kuh, kann ich mir endlich den Schlüssel für die rektale Untersuchung merken.
Es ist der aufregendste Teil unseres Studiums gekommen, wir haben es uns verdient, jede Minute zu genießen, (etwas) unwissend, oder nicht. Wir alle haben es verdient, tolle Praktika zu absolvieren, mit einer netten Kollegschaft und einer schönen Zeit.
Viele machen noch einiges anderes in dieser Zeit, ob das ihr unverzichtbarer Nebenjob ist, die vorgezogene Doktorarbeit oder einfach ein bisschen Reisen. Es ist vollgepackt unser PJ. Das hatte ich so nicht erwartet.
So sind wir alle fröhlich in unser PJ gestartet, auf dem Boden der Tatsachen angekommen, und dennoch in freudiger Erwartung auf all das, was in den kommenden 10 Monaten noch so auf uns zukommen wird.
Also „hang in there, darling“ oder frei nach dem Motto unserer Professorin Mondy: „Scheiter heiter weiter.“.
Und eins ist sicher: egal, was für Hindernisse wir in dieser Zeit überwinden müssen, was für Herausforderungen sich uns stellen werden, eins ist sicher, die Zeit läuft immer weiter, die Zeit wird immer kürzer, bis auch wir dann (endlich) Tierärzt*in sein werden.
Valerie Leandra Lisser (9. Fachsemester)