Kategorie: Vetmed aktuell
Seit Anfang diesen Jahres, seit dem 28.01.2022, gilt das nie neue EU-Tierarzneimittelverordnung 2019/6. Dies hat bedeutet unter anderem, dass die prophylaktische Anwendung von Antibiotika bei allen Tiergruppen in der gesamten Europäischen Union verboten ist. Darunter fallen auch die antibiotischen Trockensteller für Milchkühe, welche bislang auf vielen Betrieben für alle Tiere einer Herde eingesetzt wurden.
Was genau bedeutet aber Trockenstellen überhaupt?
Die sogenannte Trockenstehzeit ist der Zeitraum ab etwa 6-8 Wochen vor der nächsten Abkalbung bis zum Abkalbetermin. In dieser Zeit wird die Kuh nicht gemolken und das Tier kann sich auf die bevorstehende Geburt vorbereiten sowie das Euter auf die nächste Laktation. Es dient dem Euter also zur Ausheilung von möglicherweise existierenden Entzündungen und Geweberegeneration, sodass eine gute Leistung in der kommenden Laktation erzielt werden kann. Das noch ungeborene Kalb erhält durch das Ausbleiben des Melkens zusätzliche Nährstoffe und auch die Kolostrumqualität mit einem hohen Anteil an Immunglobulinen kann gewährleistet werden.
Zu den teuersten Erkrankungen einer Milchkuh gehört die Euterentzündung und so sind sowohl der Landwirt oder die Landwirtin als auch die Tierärztin oder der Tierarzt daran interessiert diese möglichst zu verhindern. Häufig wird eine Eutererkrankung während der Trockenstehzeit durch Umwelterreger im Stall hervorgerufen. Hierbei sind zwei Zeiträume besonders wichtig: die ersten Tage nach dem Trockenstellen, da hier die Milchbildung noch nicht komplett eingestellt ist und damit der Euterinnendruck hoch ist. Es kann dadurch zum Milchtröpfeln kommen und Erreger können ins Innere gelangen. Eine ungenügende Stallhygiene und unsauberes Arbeiten beim Applizieren von Eutertuben begünstigen Euterinfektionen ebenfalls. Der zweite kritische Zeitraum ist der kurz vor der Geburt. Zu diesem Zeitpunkt können sich die Zitzenkanäle schon öffnen, da der Innendruck im Euter erneut aufgrund einsetzende Milch- bzw. Kolostrumproduktion ansteigt. Ebenso kann es zu einem reduzierten Immunstatus durch zusätzliche geburtsnahe Erkrankungen kommen.
Die höchsten Abheilungsraten von Euterinfektionen hat man bisher in der Trockenstehphase nach der Behandlung mit antibiotischen Langzeitpräparaten, sogenannten Trockenstellern, erreichen können. Dies war gängige Praxis in den letzten etwa 40 Jahren. Die durchschnittliche Heilungsrate liegt etwa bei 50%.
Die gesellschaftliche Diskussion über den Einsatz von Antibiotika besonders in der Nutztierhaltung gerät immer stärker in den Fokus. Hierbei stehen sich vor allem der Verbraucherschutz, die Resistenzlage von Erregern gegenüber Antibiotika und das Tierwohl gegenüber. So fordert nun die EU, aber mittlerweile auch viele Molkereien ein selektives Trockenstellen. Andere Länder der EU, wie Dänemark und die Niederlande, haben schon seit längerer Zeit ein Verbot für ein generelles Trockenstellen aller laktierender Kühe ausgesprochen und viele Verbände (DLG, LFL, …) sind davon überzeugt, dass das selektive Trockenstellen grundsätzlich für jeden Milchviehbetrieb umsetzbar ist.
Was genau heißt nun selektives Trockenstellen und ist es wirklich so einfach wie es klingt?
Beim selektiven Trockenstellen geht es darum, dass Risiko für eine Euterentzündung tierindividuell besser abzuschätzen und nur euterkranke Tiere antibiotisch trocken zu stellen. Es geht nun also darum Selektionskriterien zu nutzen, die möglichst genau eine Aussage darüber geben können, ob das Euter nicht nur infiziert (ein Erreger ist in der Milch nachweisbar), sondern schon erkrankt (Zellzahl über 100.000/ml Milch) ist. Hier können zwei Ebenen unterschieden werden: zum einen die Euter-Ebene und zum anderen die Viertel-Ebene. Bei der Euter-Ebene wird das Euter in seiner Gesamtheit beurteilt. Bei der Viertel-Ebene hingegen wird jedes Euterviertel einzeln beurteilt. Es gilt jedoch meist die Empfehlung, dass auch bei nur einem einzelnen infizierten Viertel, das gesamte Euter behandelt wird.
Häufig werden als Kriterien für die Risikoerkennung der Zellgehalt aus der letzten Milchleistungsprüfung (MLP) und ein Schalmtest (CMT; California-Mastitis-Test) am Tag des Trockenstellen empfohlen. Liegt der Zellgehalt bei >100.000 Zellen/ml Milch, dann sollte ein antibiotischer Trockensteller eingesetzt werden. Liegt der Zellgehalt unter 100.000 Zellen/ml Milch, dann erfolgt zusätzlich ein Schalmtest am Tag des Trockenstellens. Ist dieser negativ, dann kann evtl. ein Zitzenversiegler angebracht sein. Dieser verschließt den Zitzenkanal mit einem Keratinpfropf und stellt somit eine mechanische Barriere für Erreger dar. Ist der Schalmtest hingegen bei ein oder mehreren Viertelgemelkproben positiv oder stark positiv, dann sollte auch hier wieder antibiotisch trockengestellt werden. Als weiteres Kriterium kann beispielsweise auch die Häufigkeit von Mastitiden in der Vorlaktation zurate gezogen werden. Gab es mehr als eine klinische Mastitis, wird ebenfalls zum antibiotischen Trockensteller geraten. Bei jeglichen Anwendungen intramammärer Präparate ist eine sehr starke Arbeitshygiene einzuhalten. Sollte die Sanierung einer Herde von Streptococcus canis oder Streptococcus agalactiae noch nicht abgeschlossen sein, ist hier von selektivem Trockenstellen abzusehen. Bei chronisch infizierten Tieren mit geringer Heilungswahrscheinlichkeit sollte grundsätzlich auf eine antibiotische Therapie verzichtet und eine frühestmögliche Merzung angestrebt werden.
Es wird also deutlich, dass es nicht darum geht den Einsatz von antibiotischen Trockenstellern per se zu unterbinden, aber deutlich mehr Aufwand und Dokumentation betrieben werden muss, um begründet Antibiotika einzusetzen.
Ein gemeinsames Forschungsprojekt zwischen dem Tiergesundheitsdienst Bayern e. V. (TGD) und der Ludwigs-Maximilian-Universität München, Klinik für Wiederkäuer (LMU) hat gezeigt, dass etwa 40% der Kühe der teilnehmenden Betriebe ohne antibiotische Präparate trockengestellt werden konnten. Voraussetzung war aber eine schon bestehende ausreichende Eutergesundheit auf Herdenebene. Die Ergebnisse der Studie zeigten, dass der Nutzen bei selektivem Trockenstellen in der Einsparung von Antibiotika (Kosteneinsparung), mehr hemmstofffreier Milch und im besseren Überblick über die Erreger sowohl auf Herden- als auch Einzeltierebene lag.
Fazit: Selektives Trockenstellen ist definitiv mit Aufwand verbunden, aber kein Ding der Unmöglichkeit. Landwirtschaftliche und tierärztliche Personen müssen hier Hand in Hand gemeinsam daran arbeiten, den gesellschaftlichen steigenden Ansprüchen zu genügen, auch im eigenen Interesse.
Ein Beitrag von Mascha Kaddori.
Quellen:
https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/LSU/?uri=uriserv:OJ.L_.2019.004.01.0043.01.DEU
https://www.agrarheute.com/tier/rind/kuehe-selektiv-trockenstellen-so-gelingt-581707 (25.06.2022)
https://www.lfl.bayern.de/RAST
https://www.kuhverstand.de/herdenmanagement/081-selektives-trockenstellen/
https://www.gesunderinder.unibe.ch/milchkuehe/problemorientiertes_vorgehen/trockenstellen/
https://www.milchpraxis.com/sachgerechtes-trockenstellen/
https://www.ufarevue.ch/nutztiere/selektives-trockenstellen