MUSS DAS RAD DER ZEIT FÜR DAS INTRAMURALE PJ NEU ERFUNDEN WERDEN? – LEHRZEITEN
Von Mascha Kaddori
Ihr werdet hier meine ganz persönlichen Erfahrungen, Eindrücke und Gedanken zum intramuralen PJ an „meiner“ eigenen Uni lesen können. Diese sind emotional gefärbt, teilweise sarkastisch, nicht allgemeingültig und erheben in keinerlei Hinsicht den Anspruch die einzige Wahrheit darzustellen.
Lasst euch durch den folgenden Artikel ein wenig zum Nachdenken und Hinterfragen anregen. Aber das wichtigste: macht euch selbst ein Bild! Viel Spaß!
Das Praktische Jahr. Eine Phase, auf die man sich die meiste Zeit seines Studiums freut und manchmal geradezu herbeisehnt, wenn man gerade viel mit Theorieinhalten beschäftigt ist. An jeder der fünf Hochschulen in Deutschland wird ein Teil des Praktischen Jahres in unterschiedlicher Art und Weise an der eigenen Hochschule absolviert. Dafür gibt es dann Begriffe wie Rotation oder Zyklus. Aber egal wie es umgangssprachlich genannt wird – es ist ganz allgemein gesagt der intramurale Teil des PJs. Damit ist der öffentliche Bereich im Gesundheitswesen gemeint, also der an der Uniklinik. Im Gegensatz dazu meint extramural den Bereich der niedergelassenen Versorgung, sprich z.B. Praxen und Kliniken.
Nun beginnt man also irgendwann seine Zeit an „seiner“ Uniklinik und sieht sich unter anderem mit den verschiedensten Anwesenheitszeiten/Lehrzeiten/Dienstzeiten konfrontiert. Die Diskussion darüber wie man dies nun korrekterweise zu bezeichnen hat, erspare ich uns hier an dieser Stelle. Eine ausreichende Transparenz jedenfalls über diese Zeiten, in denen man de facto einfach „da zu sein“ hat, herrscht an den wenigsten Instituten weit genug im Voraus. So kann es dazu kommen, dass man an seinem aller ersten Tag im Hörsaal der Klinik sitzt und erst dann erfährt wie genau eigentlich die kommenden Wochen ablaufen werden und möglicherweise noch am selben Tag in den Nachtdienst reingeht. Erst an diesem Tag werden Gruppen gebildet, Nachtdienste/Nacht-Lehrzeiten aufgeteilt und geklärt wer an welchem Wochenende am besten da sein könnte. Bei Nachfrage nach den Gründen für diese recht kurzfristige Festlegung von Anwesenheitszeiten wird dann gönnerhaft darauf verwiesen, dass es die einzelnen Wünsche von jedem:r Studierenden berücksichtigen würde, da die Studierenden so die Möglichkeit hätten in direktem Kontakt auszuklamüsern wer denn welche Dienste wann am liebsten machen möchte und ob man dies auch noch ausgerechnet mit der:dem besten Freund:in machen kann. Zusätzlich wird darauf hingewiesen, dass man als Studierende an dieser Stelle ja nun auch endlich die Chance hätte Mitverantwortung zu übernehmen und mitgestalten zu können.
„Mitentscheiden am ERSTEN Praktikumstag?!“
Vielleicht kommt nur mir das wie eine noch nicht einmal besonders klug überlegte Ausrede vor, aber mir erscheint das Ganze eher wie das Abschieben von Verantwortung. 4 Jahre lang habe ich jedes Semester einen Stundenplan vorgesetzt bekommen, 4 Jahre lang war das Einzige was ich halbwegs „mitgestalten“ konnte, die Wahl meiner Wahlpflichtstunden, 4 Jahre lang wusste ich einigermaßen rechtzeitig im Voraus an welchen Tagen ein Arbeiten im Nebenjob möglich war. Und nun soll ich das spontane Mitentscheiden am ERSTEN Praktikumstag als Großzügigkeit empfinden? Ich weiß ja nicht so recht… Jetzt ist es meine Verantwortung dafür zu sorgen, dass ich auf die laut TAppV vorgegebenen 460h Stunden komme und das auch noch am ersten Praktikumstag. Mein Dienstplan für den nächsten Monat bei meinem Nebenjob, mit dem ich mich bis jetzt finanzieren konnte und musste, ist schon längst geschrieben. Nun kann ich auf die Kulanz meiner Kommiliton:innen setzen und hoffen, dass sich da keine Wochenend- und/oder Nachtdienste überschneiden werden. Oh Wunder, ich habe Glück.
Ich habe Leute in meiner Gruppe, die Rücksicht auf andere nehmen und gewillt sind sich gegenseitig auszuhelfen. Aber ich möchte bei solch relevanten Planungen das nächste Mal lieber weniger auf das Glück setzen. Planungssicherheit, und zwar ausreichend im Voraus, wäre mir lieber.
Aber damit nicht genug. Es kommt ein Überraschungsei nach dem nächsten. Nach und nach erst begreife ich die vielen unterschiedlichen Einteilungen und die damit verbundenen Anwesenheitszeiten. Es stellt sich heraus, dass die Wochenenden zunächst als 48h-Bereitschaftdienste gedacht sind. Freundlicherweise wird darauf hingewiesen, dass man diese auch in zwei 24h-Dienste splitten könnte, wenn man dies in der nun bekannten Eigenverantwortlichkeit intern unter Studierenden tauscht bzw. aufteilt. Wie kann es sein, dass von Studierenden im Praktikum Anwesenheitszeiten erwartet werden, die kein einziger Arbeitnehmer aufgrund des Arbeitszeitgesetzes wahrnehmen DARF1? Ich fühle mich unfair behandelt, wenn ich als Studierende im Praktischen Jahr kaum Rechte habe, auf die ich mich berufen kann. Rechte, die mir Sicherheit geben könnten, aber eben auch meinem Gegenüber, der Uniklinik. Auf mich lässt sich weder das Arbeitszeitgesetz2 anwenden noch das Berufsbildungsgesetz3. Das Einzige was ich zu Rate ziehen kann sind die TAppV4 (Tierärztliche Approbationsverordnung) und die Studienordnung meiner Hochschule. Schaut man dann aber mal genauer in der TAppV nach, so lässt sich doch einiges überraschendes feststellen. Jurist:innendeutsch ist bekanntlich nicht das einfachste, aber hier steht in § 54, dass Praktika „außerhalb der Vorlesungszeit und in der Regel ganztägig entsprechend dem Arbeitsanfall in angemessenem Umfang an allen Wochentagen in den jeweiligen Einrichtungen“ abzuleisten sind. Nun heißt es aufgepasst! Ganztägig bedeutet nicht 24h! Juristisch wird zwischen Tag und Nacht unterschieden. Heißt also, dass aus der TAppV in keinster Weise abzuleiten ist, dass ich in meinem intramuralen Praktikum Nachtdienste machen MUSS. Die nächste Erkenntnis liegt darin zu wissen, dass mit „allen Wochentagen“ eben nicht Montag bis einschließlich Sonntag gemeint sind, sondern vielmehr Montag bis maximal Samstag. Damit wäre also zumindest der Sonntag als „Arbeitstag“ raus. Huiuiui, wenn das die Studierendenschaft wüsste und verstünde.
„Auswahl zwischen Schlaf und Prüfungsvorbereitung“
Wenn es Spielregeln für die an der Uniklinik angestellten Tierärzt:innen gibt, sowie für die studentischen Hilfskräfte, egal ob diese nun angewandt werden oder nicht, oder ob die Arbeitnehmenden diese für sich einfordern oder nicht, warum soll es dann für Praktikant:innen ganz andere geben? Klar, wir tragen wenig bis keine Verantwortung, sind vor allem zu Ausbildungszwecken da und werden (hoffentlich) viel angeleitet. Aber ich muss dennoch hoch konzentriert, wach und aufmerksam sein. Auch mir sollten möglichst wenig Fehler unterlaufen. Dafür sind angemessene Lehrzeiten und auch Ruhezeiten notwendig. Bei einer durchschnittlichen Ruhezeit von 5,5 h während einer Nachtdienstwoche kann man doch nicht ernsthaft davon ausgehen, dass die PJler:innen aktiv beim Nachmittagsseminar zu 100% mitdenken können. Und wehe mir kommt jemand damit, dass man ja auch durchaus nachts schlafen könne, weil es ja nur Bereitschaftsdienst sei. Eine faule Ausrede! Laut Arbeitszeitgesetz ist Bereitschaftsdienst volle Arbeitszeit (ja, ich weiß schon… wir PJler:innen arbeiten nicht, sondern werden „nur“ gelehrt…). Der relevante Punkt hier ist aber, dass auch die nicht-aktive Zeit während des Bereitschaftsdienstes als vollwertige „Arbeitszeit“ gilt. Beim Bereitschaftsdienst kann ich mir meinen Aufenthaltsort nicht aussuchen und ich bin jederzeit erweckbar und „einsatzbereit“. Von einem wirklich erholsamen Schlaf ist hier selten zu sprechen. Wenn mir dann auch noch von den verantwortlichen Personen der Klinik vorgeschlagen wird, dass ich ja eines der Nachmittagsseminare ausfallen lassen könne, da im gesamten Zyklus keine 100%-Anwesenheitspflicht gilt, um meinen Mangel an Schlaf aufzuholen, fällt mir nicht mehr viel ein. Es sind prüfungsrelevante Inhalte, die in diesen Seminaren vermittelt werden und die nur einmalig stattfinden. Meine Aufgabe besteht also darin zwischen Schlaf oder Prüfungsvorbereitung zu wählen. Wow – was für Optionen!
Ist es wirklich zu viel verlangt, dass die Lehrzeiten so geplant sind, dass ein problemloses Teilnehmen an den geplanten Lehrzeiten möglich ist? Muss das wirklich mein Verantwortungsbereich sein? Ich halte es für durchaus sinnvoll, dass Studierende die Möglichkeit haben solche Formen der Dienste mitzuerleben und einen möglicherweise allerersten Eindruck davon zu erhalten wie sich solche Arbeits-/Lehrzeiten anfühlen, wie man darauf reagiert und ob man sich das für das zukünftige Berufsleben vorstellen kann. Doch dazu würden für mich eben auch vernünftige Ruhezeiten gehören. Sollte die Uni nicht auch ein Ort sein, der ein Beispiel darstellt, Studierende dazu befähigt später einen Arbeitsplatz auszuwählen, bei dem zumindest das Minimum des Arbeitszeitgesetzes eingehalten wird und ihnen klar macht wie wichtig auch die mentale Gesundheit ist? Dazu gehören zwangsläufig auch ausreichende Erholungsphasen.
Jede:r von uns ist selbstverständlich etwas unterschiedlich und besitzt eine andere Schwelle an der es von Eustress (positiver Stress) zu Disstress (negativer Stress) umschwenkt. Das verschieden große Bedürfnis nach Erholung schlägt sich jedoch nicht automatisch in der Leistungsfähigkeit einer einzelnen Person nieder.
Wenn man einmal seine tiermedizinischen Scheuklappen etwas weitet und nach links und rechts zu anderen Studiengängen schaut, die ebenfalls ein Praktisches Jahr beinhalten, dann lassen sich in der Humanmedizin beispielsweise ganz schnell Formulierungen für die „Arbeits-/Lehrzeit“ der PJler:innen finden, die einen anderen Rahmen darstellen als wir ihn bisher haben. Auch dort besteht die Schwierigkeit der eher vage ausgedrückten Approbationsverordnung, dass sie „in der Regel ganztägig an allen Wochenarbeitstagen im Krankenhaus anwesend sein“ sollen5. Jedoch sind die Studienordnungen häufig etwas genauer und schreiben z.B., dass für Nacht- und Wochenenddienste entsprechender Freizeitausgleich zu gewähren ist6. In diesem Fall halte ich es für durchaus angebracht sich mal mit den Humanis zu vergleichen und voneinander zu lernen. Man kann sich die guten Dinge doch ruhig wo anders abschauen und nachahmen. Dazu gehören für mich eben unter anderem solche Formulierungen und PJ-Ordnungen.
„PJler:innen on-top planen”
Ich begreife die Welt nicht mehr, wenn mir absolutes Unverständnis entgegenkommt, sobald ich meine Wünsche und Vorstellungen bezüglich der PJ-Lehrzeiten äußere. Dabei geht es zum Großteil um die Gestaltung der reinen Anwesenheitszeiten, aber auch darum, ob PJler:innen als Arbeitskräfte mit eingeplant werden, um die je nach Klinik und Jahreszeit teilweise sehr hohe Arbeitslast bewältigen zu können. Hierbei geht in der Folge das eigentliche Ziel des PJs verloren: die praktische Ausbildung!
Und das ist doch genau das worauf wir hin fiebern. Aber das ist ein Thema für sich (kleiner Tipp: Fortsetzung folgt).
Mein Wunsch ist es, dass zukünftige Studierende so weit im Voraus über ihre Anwesenheitszeiten während des intramuralen Praktikums Bescheid wissen, dass sich Personen, die ihren Lebensunterhalt selbst finanzieren, Kinder großziehen oder Familienangehörige pflegen, ausreichend im Voraus planen können und dadurch Sicherheit gewinnen.
Mein Wunsch ist es, dass zukünftige Studierende in ihren Bedürfnissen und Rechten bezüglich der Länge, des Umfangs und der Gestaltung der Anwesenheitszeiten ernst- und wahrgenommen werden, sowie durch schriftliche Festhaltungen gestärkt werden.
Mein Wunsch ist es, dass zukünftige Studierende eine strukturierte, gut begleitete und angeleitete, praktische Ausbildung erhalten, die dem Ziel der TAppV tatsächlich gerecht wird.
Ich hoffe ich habe euch keinen allzu großen Schrecken eingejagt, sondern vielmehr dazu motiviert mit offenen Augen, Ohren und Gedanken durch das PJ zu gehen!
Quellen:
1 Vgl. § 7 ArbZG
2 Vgl. https://www.gesetze-im-internet.de/arbzg/index.html#BJNR117100994BJNE001501308
3 Vgl. https://www.gesetze-im-internet.de/bbig_2005/
4 Vgl. https://www.gesetze-im-internet.de/tappv/BJNR182700006.html
5 Vgl. ÄApprO §3 Absatz 4
6 Vgl. Ordnung zum Praktischen Jahr für den Studiengang Medizin an der Medizinischen Hochschule Hannover § 7 Absatz 2; Ordnung über das Praktische Jahr des Studiengangs Medizin an der Charitè – Universitätsmedizin Berlin (PJ-Ordnung) § 9 Absatz 2; https://www.mecum.med.uni-muenchen.de/praktisches_jahr/wichtige-info-u-dokumente/fehlzeiten/index.html
7 Vgl. TAppV §1 Absatz 1