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Chance oder Gefahr? – Ehrenamt im Studium

Nein, in einem von Ehrenamtlichen getragenen Verband wie dem bvvd läuft nicht alles reibungslos ab. Man könnte behaupten, dass das in den meisten ehrenamtlichen Organisationen der Fall ist. Mal stören gruppendynamische Probleme, wie Absprachen, die nicht eingehalten werden können. Mal erschwert schlicht und ergreifend die fehlende Zeit die Arbeit und bringt Engagierte an ihre Belastungsgrenzen. Dies sei nur beispielhaft, die Mehrheit, der Ehrenamtler*innen wird bei diesen Zeilen eigene Erfahrungen vor Augen haben. Solche demotivierenden Momente oder auch anstrengende Phasen gehören hin und wieder zum ehrenamtlichen Engagement dazu.
Im Großen und Ganzen steht für die Freiwilligen trotzdem die Freude an der Arbeit im Mittelpunkt – oder etwa nicht? Was, wenn das Ehrenamt den Ehrenamtlicher*innen schadet, oder sie sogar krank macht? Um die Ursachen, den Umgang mit und die Lösungen für Probleme im freiwilligen Engagement und warum dieses Thema gerade für uns Tiermediziner*innen so relevant ist, soll sich der folgende Fachartikel drehen.

Die Möglichkeiten sich neben dem Studium der Veterinärmedizin ehrenamtlich einzubringen sind an jeder der fünf Hochschulstandorte gegeben. Tierärzte ohne Grenzen e.V., IVSA Germany oder die jeweiligen Fachschaften – um nur einige ehrenamtliche Organisationen zu nennen – bieten den Studierenden Fachbezogene Inhalte und fußen auf ihrer Mitarbeit. Darüber hinaus freuen sich zahlreiche fachfremde Institutionen wie Studierendengemeinden, Sportvereine und soziale Einrichtungen über jede konstruktive Unterstützung, die ihnen entgegengebracht wird. Das Engagement in diesen Bereichen gibt den Helfenden viel – verlangt ihnen aber auch einiges ab. Um zu verstehen, warum Menschen auf die Idee kommen, sich über ihre Belange hinaus für andere Einzusetzen muss sich zunächst folgende Frage gestellt werden:

Warum helfen wir?

„[…] Bei Personen, die eher ihren Mitbürger*innen helfen als andere, ist in der empirischen Forschung die Rede von einer prosozialen Persönlichkeit.“[1] Die Antwort auf die Frage lässt sich also durch bestimmte Eigenschaften eines Menschen erklären, aber auch durch dessen Sozialisation. Als „prosoziales Verhalten“ definiert das Lexikon der Psychologie von Dorsch eine „[…] intentionale und freiwillige Handlung, die potenziell bzw. tatsächlich einem Empfänger zugutekommt.“[2] Was zunächst sehr selbstlos klingt, kann auch durch andere auf den ersten Blick eher egoistische Intentionen begründet sein. Als völlig gesunden Bestandteil der Motivation des Helfens sieht Anna Zill, Master in Beratung und Vertretung im sozialen Recht, somit auch die sogenannte „Reziprozitätsnorm“: Das Anbieten von Hilfe aus Pflichtgefühl, mit dem Ziel der Verbesserung des Selbstwertgefühls, aber auch im Hinblick auf eigene Vorteile.[3]

Wir helfen also im Optimalfall anderen etwas Gutes zu tun – mit dem Nebeneffekt uns selbst auch etwas Gutes zu tun. Einigen fällt es schwer, gerade diesen Aspekt des Helfens zu akzeptieren und zu achten. Sie überschreiten möglicherweise ihr Limit an Aufgaben im Ehrenamt, verschätzen sich in Bezug auf ihre freien Kapazitäten neben dem Studium und leiden gleichzeitig unter dem immer größer werdenden Druck des Arbeitspensums, das schon allein durch das Studium auf einem konstant hohen Level ist.

Überforderung im Ehrenamt – Warum sagen wir nicht einfach mal „Nein“?
Möglicherweise liegt das an uns selbst. Das „Helfer-Syndrom“ – Ein Begriff, der durch den Psychoanalytiker Wolfgang Schmidbauer in seinem Sachbuch „Die hilflosen Helfer“ so definiert wurde: „Das Helfer-Syndrom ist eine Verbindung charakteristischer Persönlichkeitsmerkmale, durch die soziale Hilfe auf Kosten der eigenen Entwicklung zu einer starren Lebensform gemacht wird.“[4] Demnach liegt dem Drang helfen zu müssen eine Persönlichkeitsstörung zugrunde. So liege die Motivation zu helfen bei vom Syndrom Betroffenen laut Anna Zill „[…] im eigenen Bedürfnis nach Bestätigung sowie in der Abwehr eigener Gefühle.“[5] In seinem Buch spricht Schmidbauer als häufig unter dem Syndrom Leidende auch Mediziner*innen an. Allein daraus sollte die Relevanz für unseren Berufsstand deutlich werden. Der Wunsch anderen Individuen – Mensch oder Tier – zu helfen, ihnen im wortwörtlichen Sinne sogar das Leben retten zu können, ist bei unserer Berufsgruppe häufig Kern der Entscheidung für den Beruf.
Die Psychoanalytikerin Prof. Dr. Thea Bauriedl beschreibt das Problem außerhalb des Begriffs des Syndroms. Laut ihr orientieren sich Helfende jedoch auch „[…] ständig an den Bedürfnissen anderer […]“ und so werde „[…] die Sache [problematisch], wenn Helfer beginnen, davon zu leben, dass andere von ihnen abhängig sind.“ [6]. Die Folgen der Aufopferung können sich dann in Form von Suchterscheinungen, Unzufriedenheit oder auch Burnout äußern.
Sind wir also selbst schuld und müssen uns nun alle in Therapie begeben, wenn wir den Aufgaben im Ehrenamt nicht (mehr) gewachsen sind? Auch in den sozialen Medien wird nicht erst seit kurzem immer wieder darüber gesprochen, inwieweit es den Tiermediziner*innen schwerfällt, „Nein“ zu sagen. Dabei wird aber vor allem auch ein anderer Aspekt deutlich: der Anspruch der Gesellschaft. Die Diskussion, beispielsweise rund um den Artikel des Ulmer Tierarztes Ralph Rückert stellt in den Fokus, wie mit jenen Praktiker*innen umgegangen wird, die sich selbst durch einhalten von Ruhezeiten vor der Selbstaufgabe zu schützen versuchen. [7] Der im Artikel beschriebene Vorfall macht deutlich, dass selbst ein „Nein“ nicht zwingend die Lösung für Betroffene ist. Anhand dieses Beispiels lässt sich die Angst mancher Freiwilligen verstehen, den Erwartungen anderer nicht zu entsprechen. Deutschland sieht sich in weiten Teilen als Leistungsgesellschaft, per Definition eine Gesellschaft in der „[…] Status, Einkommen und Einfluss der Individuen von den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leistungen abhängen.“[8] Eigentlich also nicht verwunderlich, dass das Streben nach Anerkennung und die Angst, nicht hinterherzukommen auch unter Freiwilligen auftritt. So bekommen wir doch an den verschiedensten Punkten im Leben, beispielsweise bei der Studienplatzvergabe zu spüren, wie wenig wir wert sind, wenn wir zuvor nicht genug geleistet haben.
Doch auch der folgende Punkt macht das Ablehnen von Arbeitsaufträgen nicht leicht: Altruismus. So hat man doch netten und ihrerseits hilfsbereiten Kolleg*innen gegenüber ungleich häufiger das Bedürfnis, ihnen etwas zurückzugeben und ihnen Entlastung zu verschaffen. Was in einem gewissen Rahmen lobenswert ist, wird dann kritisch, wenn das Pensum der anfallenden Aufgaben für die betreffende Gruppe Engagierter das zumutbare übersteigt. Woraus genau resultiert dieses übersteigerte Arbeitspensum?
Eine mögliche Ursache wäre die Art der Aufgaben. So gehe zufolge der ZEIT-Journalistin Lisa Srikiow aus dem vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend in Auftrag gegebenen Freiwilligensurveys von 2009 hervor, dass 13 % der befragten Freiwilligen Aufgaben übernehmen, die zuvor von Hauptamtlichen durchgeführt wurden.[9] Die Schlussfolgerung könnte sein, dass einige Ehrenamtler*innen somit Arbeiten durchführen, für die andere unter Umständen eine Ausbildung oder ein Studium absolviert haben. Eine Situation, die auch bei uns Tiermediziner*innen denkbar ist: So bewegen sich mutmaßlich einige Freiwillige in ihrem Tätigkeitsbereich in einer Grauzone des Rechts – vermutlich auch notgedrungen, weil einfach die notwendige Unterstützung durch Hauptamtliche aus verschiedensten Gründen nicht gewährleistet werden kann. Was diese Grenzüberschreitung für die Ehrenamtlichen vor allem auch für juristische Folgen haben könnte, bleibt dabei meist unbeachtet.
Die vorherigen Szenen mögen auf einige Leser*innen drastisch und überspitzt wirken. Andere wiederum werden sich vielleicht insgeheim in dem ein oder anderen Punkt wiedergefunden haben. Dennoch sollte weniger die Dramatik der beschriebenen Phänomene, als vielmehr die Sensibilisierung für ein überwiegend gesundes Ehrenamt im Fokus stehen. Daher lautet die abschließende Frage:

Wie gehen wir mit der Situation um?

Damit das Ehrenamt nicht zur Belastung für die Helfenden wird, erfordert es Aufmerksamkeit. Jede Institution, die Aufgaben an Ehrenamtliche abtritt und jede ehrenamtliche Organisation sollte sich darüber im Klaren sein, was sie Helfer*innen abverlangt – und wie sie ihnen Schutz und Hilfe zum Selbstschutz leisten kann. Zahlreiche Broschüren stehen zur Leitung ehrenamtlicher Vereine zur Verfügung. Auch Fortbildungsmaßnahmen für Freiwillige sind gang und gebe.
Doch auch die Ehrenamtler*innen selbst sollten sich die Frage stellen: „Warum helfe ich?“ Sollte Verdacht aufkommen, dass Symptome des „Helfer-Syndroms“ vorhanden sind, so sollte psychologische Beratung in Anspruch genommen werden.
Freiwillige sollten bei Überforderung keine Scheu haben müssen, sich an ihre Koordinator*innen und Teams zu wenden. Ehrenamtliches Engagement, häufig unentbehrlich für funktionierende Abläufe in unser aller Leben, ist eine Stütze der Gesellschaft. Laut Statista.com engagieren sich in Deutschland stand 2020 knapp 17,11 Millionen Menschen freiwillig, davon sind 27 % berufstätig. Die meisten Ehrenamtlichen geben an, junge Erwachsene zu sein.[10] Aus diesen Zahlen wird deutlich, wie viel daran hängt, dass Freiwillige im Allgemeinen, aber vor allem auch die Generation der Studierenden in Zukunft motiviert und mit Freude im Ehrenamt engagiert bleiben.
Um dies auch weiterhin zu sichern, ist es für jede*n Einzelne*n Engagierte*n ein erster Schritt, sich der Gefahren für Helfende bewusst zu werden und auf Warnsignale im Umgang miteinander zu achten, um die Chancen für sich selbst, die Mitstreiter*innen und auch für die Gesellschaft durch ihr Mitwirken zu erhalten.

  • SH·





[1] Zill, A. (2017). Helfersyndrom und Soziale Arbeit – Eine empirische Studie unter Studierenden der TH Köln. S.9 Abgerufen: 05.11.2020 von: https://epb.bibl.th-koeln.de/frontdoor/deliver/index/docId/1051/file/Ausgezeichnet+2017+07+Zill+-+Helfersyndrom+und+Soziale+Arbeit.pdf

[2] Bierhoff, H.-W. (2019). Dorsch, Lexikon der Psychologie, Stichwort: prosoziales Verhalten. Abgerufen: 05.11.2020 von: https://dorsch.hogrefe.com/stichwort/prosoziales-verhalten

[3] Zill, A. (2017). Helfersyndrom und Soziale Arbeit – Eine empirische Studie unter Studierenden der TH Köln. S.8 Abgerufen: 05.11.2020 von: https://epb.bibl.th-koeln.de/frontdoor/deliver/index/docId/1051/file/Ausgezeichnet+2017+07+Zill+-+Helfersyndrom+und+Soziale+Arbeit.pdf

[4] Schmidbauer, W. (1977). Die hilflosen Helfer: über die seelische Problematik der helfenden Berufe. Reinbeck, Deutschland: Rowohlt.

[5] Zill, A. (2017). Helfersyndrom und Soziale Arbeit – Eine empirische Studie unter Studierenden der TH Köln. S.84 Abgerufen: 06.11.2020 von: https://epb.bibl.th-koeln.de/frontdoor/deliver/index/docId/1051/file/Ausgezeichnet+2017+07+Zill+-+Helfersyndrom+und+Soziale+Arbeit.pdf

[6] Schwarz, P. (2006). „Brennpunkt der Ohnmacht“ Die Psychotherapeutin Thea Bauriedl über Helfersyndrom und Burn-out. Die Zeit. Abgerufen: 05.11.2020 von https://www.zeit.de/2006/18/Interview

[7] Rückert, R. (2020). Maligne Kunden und was sie anrichten (Teil 1): Another Shitstorm! Abgerufen: 05.11.2020, von https://www.tierarzt-rueckert.de/blog/details.php?Kunde=1489&Modul=3&ID=21055

[8] Krämer, H. Gabler Wirtschaftslexikon, Das Wissen der Experten, Stichwort: Leistungsgesellschaft. Abgerufen: 06.11.2020 von https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/leistungsgesellschaft-38941

[9] Srikiow, L. (2011) Die Stützen der Gesellschaft. Die Zeit. Abgerufen: 06.11.2020, von http://lisasrikiow.com/wp-content/uploads/2011/08/zeit_2011_31_0061.pdf

[10] Statista Research Department (2020) Ehrenamt in Deutschland – Statistiken zum Thema. Statista.com. Abgerufen: 26.12.2020, von https://de.statista.com/themen/71/ehrenamt/