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Einmal Meteoritenkrater und zurück

Ein kleines Dorf im idyllischen Ries gelegen war mein Zuhause für ganze sechs Wochen meines „Praktischen Jahres“. Dort habe ich in einer kleinen 3 Mann/ Frau-Praxis mit angeschlossener Besamungsstation für Pferde einen Teil meines großen kurativen Praktikums verbracht.

Es war eine sehr intensive Zeit mit langen Arbeitstagen, die sich aber immer gelohnt haben. Gleich am ersten Tag durfte ich eine Fohlengeburt und einen Kolikpatienten miterleben. Dafür kam ich aber erst um Mitternacht ins Bett.

Nach einer kurzen ersten Nacht, ging es am zweiten Tag genauso spannend weiter. Bereits jetzt durfte ich einige tierärztliche Tätigkeiten nach einer kurzen Erklärung durchführen.

Jeder Morgen begann mit der Versorgung der stationären Patienten. Das waren meistens Stuten, die Konzeptionsstörungen hatten und zur künstlichen Besamung in den Praxisboxen eingestallt wurden. Erst nachdem alle Patienten versorgt waren, wurden die Touren besprochen und anschließend losgefahren. 

Auf den langen Fahrten zwischen den einzelnen Höfen und Ställen, konnte ich stets alle Fragen stellen, die mir so durch den Kopf gingen. Lange Fahrten deshalb, weil das Praxisgebiet riesig war – nach meiner Einschätzung viel zu groß, für 2 fahrende Tierärzte und eine Kleintierärztin, die ausschließlich in der Praxis ist und dort die Kleintiere versorgt. Als ich sie darauf angesprochen habe, gaben sie mir auch Recht. Das Gebiet ist viel zu groß. Es ist aber so, dass häufig gute Kundschaft den Stall wechselt und den Tierarzt mitnehmen möchte. Dann fährt man mal eben 10km weiter. Und wenn sich das dann schließlich in alle Richtungen langsam aber sicher ausbreitet (die Praxis besteht bereits seit mehreren Generationen) ist das Gebiet irgendwann zu groß. Außerdem eilt ihnen ein guter Ruf voraus und das Nein kommt den Tierärzten noch immer schwer – oder gar nicht – über die Lippen. So wurde beispielsweise auch jeder Patient zu jeder Tages- und Nachtzeit angenommen. Das ist zwar ein toller Service für die Tierbesitzer, aber eine zusätzliche Belastung für die Tierärzte, die wirklich rund um die Uhr für das Wohl der Tiere sorgen.

Fast täglich um die Mittagszeit wurden die Hengste abgesamt. Je nachdem für wie viele Hengste eine Bestellung einging wurden mal mehr, mal weniger Hengste gebraucht. Direkt im Anschluss, wurde der gewonnene Samen zu Frischsperma im Labor aufbereitet. So ist er mehrere Tage haltbar. Häufig reagieren empfindliche Stuten jedoch auf den Samenverdünner oder die Samenflüssigkeit. Deshalb werden diese Stuten zur etwa gleichen Zeit, zu der die Absamung stattfindet, in die Praxis bestellt. Sie werden nach Zentrifugation mit dem frischen Sperma direkt besamt. Oft wünschen sich die Hengstbesitzer, dass man Tiefgefriersperma produziert. Auch das kann in diesem Labor gewährleistet werden. Das TG-Sperma kann dann weltweit verschickt werden. So können beliebte Hengste weltweit decken.

Da mein Praktikum während der Hochzeit der Decksaison stattfand, war das Ab- und Besamen das derzeitige Hauptgeschäft. Zwar befanden wir und schon am Ende der Decksaison, aber wir hatten noch genug zu tun, da alle Stuten, die bisher nicht trächtig waren, das dringend noch werden sollten. Viele der Termine waren also zur Besamung oder Trächtigkeitsuntersuchung.

Zum Ende meines Praktikums wurde es in diesem Bereich aber ruhiger. Mitte August endet die Decksaison. Nur bei den Isländern dauert es noch etwas länger, bis Mitte September in etwa.

Neben der Arbeit für die Besamungstation, gab es aber auch noch genug Patienten mit anderen Sorgen als der Fruchtbarkeit. Gerade im Sommer bei schwül-warmen Wetter kommt es häufig zu Koliken und natürlich haben Pferde auch immer orthopädische Probleme. Während sich die angestellte Tierärztin vor allem im Bereich der inneren Medizin auskennt, ist der Chef im orthopädischen Bereich sehr bewandert. Demensprechend und wenn es mit den Fahrtwegen vereinbar war, wurden die Patienten aufgeteilt.

Mein wohl spannendster internistischer Fall war ein Shetlandfohlen mit gelblich mukösen Nasenausfluss und hochgradigen Umfangsvermehrungen im Bereich der Mandibularlymphknoten. Auf Grund dieser Symptomatik dachten wir zunächst an eine Druseinfektion. Als sich jedoch der Gesundheitszustand des Fohlens auf die Therapie nicht besserte und auch der entnommene Tupfer ein negatives Ergebnis auf Streptococcus equi equi lieferte, war dringend eine weitere Diagnostik nötig. Ein Ultraschall des umfangsvermehrten Bereiches und eine anschließende Punktion, bei der Luft entwich, war die Diagnose gesichert: Luftsacktympanie. Leider war das das Todesurteil für das kleine Fohlen. Es gibt zwar Therapiemöglichkeiten, diese sind aber teuer und nicht immer erfolgsversprechend. Außerdem war der Gesundheitszustand des Fohlens bereits sehr schlecht, was die Genesungsaussichten noch weiter reduziert. Schweren Herzens mussten wir das Tier am nächsten Morgen euthanasieren. Der zuvor beschriebene gelblich muköse Nasenausfluss lässt sich durch regurgitieren erklären. Durch die übermäßig mit Luft gefüllten Luftsäcke, war der gesamte Larynx- und Pharynxbereich so sehr verengt, dass das Fohlen nicht mehr abschlucken konnte.

Im chirurgischen Bereich durfte ich bei mehreren Hengstkastrationen assistieren und konnte bei zwei Nabelbruch-OPs zusehen.

Während der ersten paar Wochen begleitete ich meinen Chef auf seinen Touren. Er behandelte nicht nur Pferde, sondern kümmerte sich auch noch um die Rinderbetriebe in der Region. So konnte ich mich im Rektalisieren und in TUs üben und wurde auch immer besser darin. Außerdem behandelten wir beinahe täglich Kühe mit Milchfieber und auch ein Rind mit Ketose war dabei.

Nebenbei machte er zusätzlich für das Amt noch die Fleischbeschau in kleineren Schlachtbetrieben. Auch zu diesen Terminen wurde ich mitgenommen. Das war zwar etwas weniger spektakulär, dennoch war es sehr interessant den Kontrast der kleinen Betriebe zu großen Schlachthöfen zu sehen.

Gegen Ende meines Praktikums fuhr ich vor allem bei der Assistentin mit. Diese hatte eine Zusatzausbildung in Chiropraktik. Während dieser Termine konnte ich zwar nichts selbst praktisch machen, dafür sah ich aber einen anderen Bereich der Tiermedizin, der so im Studium nicht gelehrt wird.

Da die Kollegin aus dem Kleintierbereich überraschend sehr lange krank war, musste die Assistentin auch diesen Bereich mit abdecken. Zwar wurden während dieser Zeit nur die nötigsten Termine vereinbart, dennoch war es eine weitere zusätzliche Belastung für sie.

So kam es manchmal für mich vor, dass ich mich wie James Harriot fühlte. Morgens Rinder, mittags Absamen und eine Kleintiersprechstunde und anschließend eine Tour zu den Pferdeställen.

Retroperspektiv hatte ich eine sehr interessante und lehrreiche Zeit im Donau-Ries Tal, das eigentlich ein Meteoritenkrater ist. Ich habe unfassbar viel gelernt und auch gesehen. Es war wirklich schön, dass man dort so viel Vertrauen in mich hatte und vor allem im Pferdebereich auch selten, dass ich so viel machen durfte. Die meisten Patientenbesitzer hatten kein Problem damit, dass ich mich im Zähneschleifen und injizieren üben durfte.

Letztendlich muss ich dennoch sagen, dass ich vor allem auch für die Zukunft gelernt habe, zum Beispiel, wie ich nicht arbeiten möchte. Es waren dort unfassbar lange Arbeitszeiten, die nicht immer dokumentiert wurden. Das Praxisgebiet ist für die Anzahl an Tierärzten viel zu groß und Aufgaben konnten nicht immer sofort bewältigt werden. Außerdem ist es wichtig auch mal den Mut zu haben „Nein“ zu sagen – ein äußerst schweres Unterfangen als (zukünftige) Tierärztin.

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