Buchtipp
Titel: Eine kurze Geschichte der Menscheit
Autor: Yuval Noah Harari
Preis: 14,99 € (Taschenbuch, Stand 04.2020)
ISBN: 978-3-421-04855-4
Hast du schon einmal darüber nachgedacht, was dich so einzigartig macht? Das ist für mich schon eine schwierige Frage, wenn es um mich als Individuum geht. Aber was, wenn ich dabei meine Art betrachte, den Menschen? Warum stehen wir heute an dem Punkt in der Hierarchie der Natur, an dem vor tausenden von Jahren noch Löwen und andere Raubtiere unseren Platz einnahmen?
Mit diesen und zahlreichen weiteren geschichtlichen, biologischen sowie philosophischen Fragen beschäftigt sich der israelische Historiker Yuval Noah Harari in seinem Sachbuch „Eine kurze Geschichte der Menschheit“. Dabei erklärt er unter anderem den hochkomplexen evolutiven Weg des Homo Sapiens – unseren Weg – mit seinen Chancen, aber auch seinen negativen Konsequenzen weit über seine Art hinaus…
Wir Tiermediziner kennen uns aus mit Tierarten, soll man meinen. Mir jedoch war nicht bewusst, wie wenig ich doch über meine eigene Art und ihre Vergangenheit wusste, bevor ich dieses Buch zur Hand nahm. Dabei liegt meine Zoologie-Vorlesung gerade einmal ein Jahr hinter mir. Zumal mir die Geschichte der Menschheit auch stets als unübersichtlich, komplex und letztlich doch als Laune der Natur erschien. Wie soll man dabei eine Struktur erkennen?
Genau damit befasst sich Harari, indem er unsere Entwicklung in vier Abschnitte einteilt und sich jedem Bruchstück mit Daten, Fakten und Brisanz nähert.
Zunächst erzählt er von der „kognitiven Revolution“, in der sich der Mensch durch seine Sprache und Lernfähigkeit allmählich dazu befähigte, über sich hinauszuwachsen, in großen Gruppen zusammenzuarbeiten und gemeinsame Mythen zu entwickeln. Denn laut Harari kann „eine große Zahl von Menschen […] effektiv zusammenarbeiten, wenn alle an gemeinsame Mythen glauben“ (S.40). Was hier so heroisch klingt, wird im Buch facettenreich beleuchtet. Auch die negativen Konsequenzen dieses vermeintlichen Meilensteins werden aufgezeigt. Was passiert zum Beispiel, wenn so ein Mythos eine Gruppe von Menschen über die andere erhebt?
Es folgt die „landwirtschaftliche Revolution“, in der sich der Homo sapiens von seiner natürlichen Lebensweise trennte und von Jagen und Sammeln auf Monokulturen, Mangelernährung, Besitz und Existenzsorgen umschwenkte. Wie konnte es dazu kommen? Eine Antwort, die womöglich für so vieles was der Mensch zu verantworten hat, zutrifft: Die Konsequenzen der einstigen Entscheidungen der Menschen, waren nicht absehbar und ungewollt und ehe man sich versah, gab es kein Zurück mehr. Ein Krimi, der beim Lesen auf erschreckende Weise die Parallelen zur heutigen Zeit näherbringt.
In der „Vereinigung der Menschheit“ findet sich schließlich die nächste Etappe auf dem Weg des Menschen als potenzieller Hoffnungsschimmer wieder. Viele Parallelwelten, die nach und nach zusammenfanden und zu immer größeren Gemeinschaften wurden. Lässt das etwa eine Vorhersage über die Zukunft machen?
Ihren Abschluss findet Hararis Schilderung in der „wissenschaftlichen Revolution“, die gerade einmal vor ca. 500 Jahren begann. Ein Wimpernschlag in der ca. 300. 000-jährigen Geschichte des Menschen. Und dennoch: womöglich eine Zeit, in der die erstaunlichsten Fortschritte, die größten Netzwerke und gravierendsten Fehltritte unserer Art zu verzeichnen sind. Eine unglaublich komplexe Zeit, der der Autor mit Struktur begegnet und so den Leser zu dem führt, was er heute ist.
Das Sachbuch „Eine kurze Geschichte der Menschheit“ fungiert als kompakte und fesselnde Dokumentation über unsere Spezies, die nicht nur ihr eigenes Schicksal maßgeblich verändert hat, sondern auch schon vor Jahrtausenden dafür sorgte, das ein Großteil der Artenvielfalt verschwand, Kriege geführt wurden und Manipulation im großen Stil zur Normalität gehörte. Gibt es am Ende ein Erbe, auf das wir auch unter Umständen stolz sein könnten? Sind wir überhaupt noch Tiere oder nur noch unzufriedene Götter, die sich weigern zu lernen, mit ihrer Macht gut umzugehen? Eine Frage, die sich bis zuletzt stellt und zum Nachdenken anregt.
Eine Geschichte über uns – was kann das schon heißen? Wird hier noch einmal der Schulunterricht wederholt? Werde ich hier mit Daten und Reden überfordert?
Nein, ganz im Gegenteil: Für mich war das Buch ein einziges Aha!-Erlebnis. Man erhält spannende Erkenntnisse über Dinge, die einem heute als selbstverständlich erscheinen. Doch am eindrucksvollsten war für mich, der stets anwesende philosophische Unterton, der zum Hinterfragen der eigenen Lebensweise anregt.
Mein Fazit: eine kurzweilige Lektüre, die ich grundsätzlich einfach jedem empfehle, der bereit ist, die kollektive Geschichte der Menschheit ganzheitlich zu sehen – und kritisch zu beleuchten.
· SH ·