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VETtalk am 29.10.2016 während des DVG-Kongress in Berlin

Am 29.10.2016 fand im Zuge des 62. DVG-Kongresses in Berlin der dritte VETtalk statt. Diesmal hatte er die „konzeptionsfähigen Praxisangestellten“ zum Thema, es ging also um die Schwangerschaft von angestellten Tierärztinnen und Tierärztlichen Fachangestellten. Das Thema war vom Bundesverband der Veterinärmedizinstudierenden in Deutschland e.V. (bvvd) in Kooperation mit Dr. Carolin Deiner als diskussionswürdig identifiziert worden, da es hierbei doch sehr viel Unwissenheit und teilweise auch Unverständnis gibt.  Ziel der Veranstaltung sollte sein, die unterschiedlichen Standpunkte, Bedürfnisse, Konflikte und rechtlichen Zwänge der Beteiligten (Arbeitgeber, Schwangere, Kollegen) zu beleuchten und somit bei allen Teilnehmern zu einem besseren Verständnis für die Problematik zu gelangen. Moderatorin Dr. Carolin Deiner hatte für den Talk sechs Referenten eingeladen, die sich – nach einer kurzen Vorstellungsrunde – im Raum verteilten und in vier Diskussionsgruppen die verschiedenen Aspekte der Thematik bearbeiteten.

Eine Diskussionsgruppe wurde von Fachärztin für Allgemeinmedizin und Psychotherapeutin Dr. med. Christiane Groß angeleitet. Ihr Gesprächsthema war die Prioritätenverschiebung der Frau während und nach der Schwangerschaft auf Basis psychologisch-neurologischer Veränderungen. Jedenfalls war ihr dieses Thema zugedacht. Vielleicht weil alle sehr schnell der gleichen Meinung waren, dass die Prioritäten sich nach einer Geburt und mit einem Kind deutlich verändern, ergab sich schnell eine berufspolitische Diskussion in ihrer Gruppe, was damit zusammenhing, dass es viele Fragen an die amtierende Präsidentin des Deutschen Ärztinnenbundes gab, einem Netzwerk von Ärztinnen und Zahnärztinnen, das sich u. a. mit familienfreundlichen Arbeitsbedingungen und gleichen Karrierechancen für Frauen befasst. Aber auch das Beschäftigungsverbot in der Schwangerschaft und dessen Handhabung in der Humanmedizin wurden eingehend erörtert.

An einer zweiten Station hatten sich die „Arbeitgeber-Vertreter“ postiert: Margareta Haager, selbstständige Kleintierpraktikerin in Seeburg, und Dr. med. vet. Michael Koch, Fachtierarzt für Kleintiere, ehemaliger Leiter der chirurgischen Abteilung einer Kleintierklinik und heute als freier Chirurgie-Trainer tätig. Sie versuchten den Teilnehmern die Sichtweise des Arbeitgebers darzulegen, der bei Kenntnisnahme von einer Schwangerschaft einer Angestellten sofort eine Gefährdungsbeurteilung des Arbeitsplatzes vornehmen muss, und wenn diese ergibt, dass eine gewisse Gefahr für Mutter und Kind in der Praxis nicht ausgeschlossen ist (durch Infektionserreger, Bisse, Tritte, Narkosegase, Chemikalien, usw.), eigentlich gar nicht anders handeln kann, als ein generelles Beschäftigungsverbot zu erteilen. Die Gesetzeslage ist in Deutschland nun mal so, dass dem Arbeitgeber eine ganz besondere Verantwortung beim Schutz seiner Angestellten obliegt, viel mehr noch als in anderen europäischen Ländern.  Das Beschäftigungsverbot bedingt dann, dass die Schwangere mit sofortiger Wirkung freigestellt werden muss und alle Dienst- und Urlaubspläne über den Haufen geworfen werden. Es muss zügig Ersatz für die Schwangere gefunden und schnellstmöglich eingearbeitet werden. Dies stellt – gerade für kleinere Praxen mit dünner Personaldecke – oft eine große Belastung dar, weshalb die Mitteilung einer Schwangerschaft auch nur selten zu überschwänglicher Freude auf Arbeitgeberseite führt. Oftmals muss dieser auch davon ausgehen,  dass die Schwangerschaft nicht ganz ungeplant zustande kam, schließlich sind die Arbeitnehmerinnen in Reproduktionsbiologie bestens unterrichtet. Weiterhin wurde die tatsächliche Gefahr für Leib und Leben der Frucht diskutiert, auch vor dem Hintergrund, dass die Schwangerschaft häufig erst nach Ablauf der heiklen Frühphase bemerkt wird und selbstständige Tierärztinnen schon aus finanziellen Gründen meist bis zum Ende der Schwangerschaft weiterarbeiten müssen.

Die dritte Diskussionsrunde wurde von Christoph Heinrich angeleitet. Als Fachanwalt für Arbeitsrecht legte er den Teilnehmern dar, welche Mitteilungspflichten es auf Arbeitgeber- und Arbeitnehmerinnenseite im Falle einer festgestellten bzw. zur Kenntnis gegebenen  Schwangerschaft gibt und welchen speziellen Kündigungsschutz Schwangere und Mütter (und Väter!) bis zum Ende der Elternzeit genießen. Es wurde auch darüber gesprochen,  dass eine Teilzeitregelung beim Wiedereinstieg in die Praxis in der Regel nur im Konsens mit dem Arbeitgeber möglich ist, da dieser sonst betriebliche Gründe anführen kann, die einer Teilzeitbeschäftigung entgegenstehen. Zwar hat die Mutter Anspruch darauf, in ihren alten Job zurückzukehren, aber nur zu den gleichen Konditionen und Arbeitszeiten wie vor der Schwangerschaft. Ein vertrauensvolles, faires Miteinander ist daher dringend anzustreben mit dem Arbeitgeber, damit sich dieser bei der Rückkehr der Mitarbeiterin in die Praxis auch kooperativ zeigt. Die Geltung des Kündigungsschutzgesetzes und dessen Aushebelung bei Kleinbetrieben wurde thematisiert, ebenso wie die sich hieraus ergebende Praxis von  Arbeitgebern mit mehr als 10 Beschäftigten, zunächst immer nur befristete Arbeitsverträge auszustellen. Herr Heinrich wies in diesem Zusammenhang auch darauf hin, dass sich befristete Arbeitsverträge nicht um den Zeitraum verlängern, in dem ein Beschäftigungsverbot bestand oder Elternzeit genommen wurde.

In der vierten Diskussionsecke ging es etwas emotionaler zu. Hier spielte Dr. med. vet. Anja Becker, im echten Leben selbstständige Medizinlektorin, die Rolle einer jungen Tierärztin, die kurz nach Einstig in die „Praxis am Wallgraben“ schwanger wurde und erst nach dem zweiten Kind und insgesamt 7 Jahren Pause wieder in die Praxis zurückkehrte. Der Wiedereinstieg fiel ihr nicht leicht und sie beklagte die mangelnde Unterstützung seitens des Kollegen. Den Kollegen spielte Dr. med. vet. Michael Büthe, derzeit selbst in Elternzeit als Mitarbeiter eines Futtermittelherstellers, was aber zunächst geheim blieb. Er illustrierte die Sicht des Praxiskollegen, dem die neue Kollegin just nach Einarbeitung wieder wegbrach, inklusive aller negativer Konsequenzen für ihn persönlich wie beispielsweise den Verzicht auf einen lange geplanten Urlaub. Er bedauerte auch, dass die Vertretung, die für Kollegin Becker gefunden und in den Jahren ihrer Beschäftigung in der „Praxis am Wallgraben“ eine wichtige Leistungsträgerin geworden war, bei Rückkehr von Frau Becker entlassen wurde. Stattdessen musste Frau Becker wieder eingearbeitet werden, die in den 7 Jahren so ziemlich alles vergessen hatte, was ihr vorher beigebracht worden war. Die Fronten zwischen den beiden Praxiskollegen waren verhärtet, dennoch konnten die Diskussionsteilnehmer beide Seiten verstehen. Es wurde darüber diskutiert, wie man die Situation hätte vermeiden können.

Zur Halbzeit wechselten die Teilnehmer die Diskussionsrunde, sodass jeder Teilnehmer mit mindestens zwei Referenten diskutieren konnte. Es war schön zu sehen, dass nicht nur Studierende dem VETtalk beiwohnten, sondern auch interessierte Tierärzte aus Praxis, Veterinäramt und Kommunikationscoaching. Weiterhin konnten Gäste aus dem Bereich Journalismus und Fortbildung für Tierärztliche Fachangestellte gesichtet werden und sogar aus der Personalabteilung eines großen Arbeitgebers im Kleintiersektor. Das brachte sehr viel konstruktiven und teilweise auch kontroversen Input in die Diskussionen ein.

Zum Ende des VETtalks fasste eine Teilnehmerin je Diskussionsgruppe das Wesentliche zusammen, was in der Runde besprochen worden war. Aus der Gruppe von Frau Dr. Groß kam der Appell an die Damen, sich doch mehr in der Berufspolitik zu engagieren, denn nur wenn Frauen mitgestalten und mit in den Gremien sitzen, könnten sie die weibliche Sichtweise einbringen und etwas bewegen. Es bräuchte mehr Frauen in den Chefetagen, mehr Teilzeitstellen und aber auch mehr Kinderbetreuungsangebote. Weiterhin könne auch im Studium bereits über eine Schwangerschaft nachgedacht werden, oftmals gäbe es Unterstützung von den Universitäten. Weiterhin riet Frau Dr. Groß dazu, die Notwendigkeit eines Beschäftigungsverbots jeweils individuell – entsprechend der aktualisierten Mutterschutzgesetzgebung – mit den jeweiligen Vorgesetzten, den zuständigen Arbeitsmedizinern und betreuenden Gynäkologinnen und Gynäkologen zu prüfen, und sich bei erfolgtem Beschäftigungsverbot und während der Elternzeit beruflich fit zu halten, damit der Wiedereinstieg leichter fällt.

 

Die „Arbeitgeber“-Gruppe verdeutlichte den Wunsch des Arbeitgebers nach Planbarkeit. Zwar müsse man als Arbeitgeber damit rechnen, dass weibliche Mitarbeiter irgendwann schwanger würden, der Zeitpunkt für die Familiengründung sollte aber besser gesteuert und nicht dem Zufall überlassen werden. Jedoch wurde auch deutlich: den perfekten Zeitpunkt für eine Schwangerschaft gibt es nicht. Nach Möglichkeit sollte es aber nicht ausgerechnet der Moment sein, wenn die Einarbeitungszeit in einer Praxis gerade erfolgt ist. Sich mit geringer Berufspraxis ins Beschäftigungsverbot mit anschließender Elternzeit zu verabschieden, sei für keinen der Beteiligten hilfreich. Des Weiteren sollten auch die Väter verstärkt mit in die Erziehungsverantwortung einbezogen werden.

Die zerstrittenen Kollegen aus der „Praxis am Wallgraben“ hatten in ihrer Runde die Empfehlung erarbeitet, man solle besser miteinander kommunizieren, sowohl  mit den Kollegen als auch mit dem Chef. Dafür müsse aber auch der Chef die Voraussetzungen schaffen, regelmäßig Mitarbeitergespräche führen und die Team-Bildung fördern. Auch sollte versucht werden, die Schwangere bzw. die Mutter weiter in die Praxis einzubinden, beispielsweise über Treffen außerhalb der „gefährlichen“ Praxisräume oder auch über Web-basierte Meetings, und es könnte über die Einrichtung von Teilzeit-Arbeitsplätzen im Home Office nachgedacht werden, die mit der U2-Umlage teilfinanziert werden könnten, sofern ein teilweises Beschäftigungsverbot erteilt würde.

Auf die Frage, ob man konkrete Schwangerschaftsabsichten mit Chef und Kollegen immer offen kommunizieren sollte, antwortete Anwalt Heinrich, dass dies zwar sicher der erstrebenswerte Idealzustand sei, aber nur dann zu empfehlen, wenn das Verhältnis sehr vertrauensvoll sei (oder aber der Betrieb so groß, dass nicht ohne zulässigen Grund gekündigt werden könne), da der besondere Kündigungsschutz der Mutter erst greift, wenn  die Schwangerschaft zum Zeitpunkt der Kündigung bereits besteht.

Alles in allem war es ein sehr spannender VETtalk, der durch das Vorhandensein verschiedener Standpunkte eine offene Diskussion und ein interessantes Fazit lieferte, nämlich dass ein vertrauensvolles Verhältnis im Team einfach die beste Basis ist und sich damit viele Probleme gemeinsam vermeiden und aber auch im Zweifelsfall schnell lösen lassen.

Der bvvd bedankt sich bei allen Diskussionsführern für ihre Ausführungen und ihr schauspielerisches Engagement, bei Herrn Prof. Dr. Dr. Martin Kramer für die einleitenden Grußworte, bei Frau Dr. Susanne Alldinger für die Ermöglichung des bvvd-eigenen Programms und bei Dr. Carolin Deiner für die sehr gelungene Veranstaltung. Wir freuen uns auf den vierten VETtalk in Baden-Baden zum Thema „Wertschätzung vom Vorgesetzten – der wichtigste Faktor für die Arbeitszufriedenheit“.

Eva Saskia Müller

AG Hochschulpolitik